„Kriegs- und Boykotthetze“ – Versionsunterschied

[ungesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
Anwendung während des Bestehens der DDR: von einer unbelegt: von übernahme kann keine rede sein, es handelte sich um neue straftatbestände
K -Wikilink
 
(34 dazwischenliegende Versionen von 24 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1:
'''Kriegs- und Boykotthetze''' hatte die [[Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik#Die Verfassung von 1949|erste Verfassung]] der [[Deutsche Demokratische Republik|Deutschen Demokratischen Republik]] aus dem Jahr 1949 in Artikel 6<ref>[{{Webarchiv|url=http://www.verfassungen.dech/de/ddr/ddr49-i.htm |wayback=20180619113350 |text=Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949] }}</ref> zu einem Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches erklärt. Bis 1957 benutzte die [[DDR-Justiz]] den Artikel 6 durch [[Auslegung (Recht)|Auslegung]] als Ersatz für die fehlenden [[Staatsschutz]]paragraphen auch zur Verhängung der [[Todesstrafe#Deutsche_Demokratische_Republik|Todesstrafe]].
 
== Anwendung während des Bestehens der DDR ==
In der DDR galt zunächst – wie in ganz Deutschland – das [[Reichsstrafgesetzbuch]] von 1871 ohne die vom [[Alliierter Kontrollrat|Alliierten Kontrollrat]] außer Kraft gesetzten Staatsschutzparagraphen. Politische Straftaten subsumierten die Staatsanwaltschaften in den 1950er Jahren im Wesentlichen unter Art.&nbsp;6 Abs.&nbsp;2 der Verfassung. Dort hieß es:
 
::''„Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militärischer Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des [[Strafgesetzbuch (DDR)|Strafgesetzbuches]]. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze.“''
 
Die Bestimmung war im Sinne einer [[Generalklausel]] so formuliert, dass sich alles darunter als [[Straftatbestand]] subsumieren ließ, was sich im politischen Tagesgeschehen gegen die Interessen der [[Sozialistische Einheitspartei Deutschlands|SED]] richtete. Nach einer Entscheidung des [[Oberstes Gericht der DDR|Obersten Gerichts der DDR]] (OG) von 1950 war sie trotz fehlender [[Strafdrohung]] „ein unmittelbar anzuwendendes Strafgesetz“.<ref>[http://www.manfred-gebhard.de/Oberstes.htm OG, Urteil vom 4.&nbsp;Oktober 1950, Az. 1 Zst. (I) 3/50, OGSt 1, 33–44 = NJ 1950, 452 &nbsp;ff.]</ref>
 
Ein Beispiel für die Anwendung von Artikel &nbsp;6 war der Prozess gegen [[Johann Burianek]], der entsprechend dieser Auslegung vom OG als Erster zum Tode verurteilt und am 2.&nbsp;August 1952 in der [[Zentrale_Hinrichtungsstätte#Deutsche_Demokratische_Republik|Zentralen Hinrichtungsstätte der DDR]] in Dresden mit dem Fallbeil hingerichtet wurde.
 
Als das [[Strafrechtsergänzungsgesetz]] vom 11. Dezember 1957<ref>[{{Webarchiv |url=http://www.verfassungen.dech/de/ddr/strafrechtsergaenzungsgesetz57.htm |wayback=20180619113302 |text=Strafrechtsergänzungsgesetz vom 11. Dezember 1957] }}</ref> umfangreiche Staatsschutzbestimmungen geschaffen hatte, verschwand aus der Rechtspraxis mit der Auslegung des Artikels 6 auch der Begriff ''Boykotthetze''. Im [[Strafgesetzbuch (DDR)|Strafgesetzbuch der DDR vom 12. Januar 1968]] und in der [[Verfassung der DDR#Die „sozialistische“ Verfassung von 1968|„sozialistischen“ Verfassung der DDR aus dem Jahr 1968]] war er nicht mehr enthalten.<ref>Rita Sélitrenny: ''Doppelte Überwachung. Geheimdienstliche Ermittlungsmethoden in den DDR-Untersuchungshaftanstalten''. Ch. &nbsp;Links, Berlin 2003, S. 49.</ref> Gleichwohl übernahm das Strafgesetzbuch von 1968 die entsprechenden Straftatbestände. „Staatsfeindliche Hetze“ (§&nbsp;106) wurde darin mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen von zwei bis zu 10zehn Jahren, bestraft. Das Kapitel „Straftaten gegen die staatliche Ordnung“ enthielt neben dem Tatbestand der „Staatsverleumdung“ (§&nbsp;220) unter anderem den der „Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit“ (§&nbsp;214), des [[Rowdytum]]s (§&nbsp;215), der „Vereinsbildung zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele“ (§&nbsp;218) und der „ungesetzlichen Verbindungsaufnahme“ (§&nbsp;219). DesDas 2. &nbsp;und das 3.&nbsp;Strafrechtsänderungsgesetz Strafrechtsänderungsgesetzes erhöhteerhöhten sukzessive den Strafrahmen dieser Tatbestände.
 
Auch die Liedermacherin [[Bettina Wegner]] bekam während des [[Prager Frühling]]s [[Bettina Wegner#Leben|juristische Schwierigkeiten]]. Ähnlich verhielt es sich u.&nbsp;a. mit dem Bürgerrechtler [[Roland Jahn#Als Bürgerrechtler in der Opposition zur DDR|Roland Jahn]].
 
== Behandlung der Verurteilungen wegen Kriegs- und Boykotthetze nach der Wiedervereinigung ==
 
Nach der [[Höchstrichterliche Rechtsprechung|höchstrichterlichen Rechtsprechung]] des [[Bundesgerichtshof]]es kann die sehr weite Auslegung des Tatbestandes der Kriegs- und Boykotthetze durch die [[Staatsanwaltschaft]] der DDR unter Umständen keine [[Vorsatz (Deutschland)|vorsätzliche]] [[Rechtsbeugung]] darstellen. Nach der Rechtsprechung des BGH handelte es sich hierbei zwar um eine nach [[rechtsstaat]]lichen Gesichtspunkten untragbare Interpretation, welche auch objektiv den Tatbestand der Rechtsbeugung erfülle. Andererseits handele es sich aber auf der inneren Tatseite um eine vom Standpunkt der DDR-Justiz zulässige, vom [[DDR-Justiz#Organisation und führende Juristen|Obersten Gericht der DDR]] gebilligte Rechtsauffassung, an die die Staatsanwaltschaft in der DDR durch die enge Weisungsgebundenheit auch gebunden war.<ref>[http://www.rechthrr-strafrecht.comde/heymannshrr/start5/99/5-94-99.xavphp3?bk=heymanns_bgh_ed_datst&startbkreferer=heymanns_bgh_ed_datst&start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D'5%20StR%2094%2F99'%5D&hls=%22Kriegs-%20und%20Boykotthetze%22db BGH, Urteil vom 26. Juli 1999, Az. 5 StR 94/99, ''NStZ'' 1999, 361] (Link ungültig)</ref>
 
Anders kann es sich bei [[Richter]]n verhalten, wenn diese den Tatbestand der Kriegs- und Boykotthetze unangemessen überdehnten oder aber die verhängte Strafe in einem unerträglichen Missverhältnis zu der abgeurteilten Handlung stand, etwa die [[Todesstrafe]] wegen Kriegs- und Boykotthetze ausgesprochen wurde.<ref>[http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/94/5-747-94.php BGH, Urteil vom 16. November 1995, Az. 5 StR 747/94, BGHSt 41, 317]</ref>
Zeile 28 ⟶ 30:
[[Kategorie:Verfassungsgeschichte (Deutschland)]]
[[Kategorie:Recht (DDR)]]
[[Kategorie:Terminologie des Kalten Krieges]]
[[Kategorie:Sprache (DDR)]]