„Hamas-Grundsatzpapier“ – Versionsunterschied
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Das '''Hamas-Grundsatzpapier''' ({{arS|وثيقة المبادئ والسياسات العامة لحركة حماس|d=Waṯīqat al-mabādiʾ wa-s-siyāsāt al-ʿāmma li-ḥarakat ḥamās}},<ref>[https://www.aljazeera.net/encyclopedia/2017/5/1/%D9%88%D8%AB%D9%8A%D9%82%D8%A9-%D8%A7%D9%84%D9%85%D8%A8%D8%A7%D8%AF%D8%A6-%D9%88%D8%A7%D9%84%D8%B3%D9%8A%D8%A7%D8%B3%D8%A7%D8%AA-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%A7%D9%85%D8%A9-%D9%84%D8%AD%D8%B1%D9%83%D8%A9 Arabischer Titel] auf al-Jazeera, 1. Mai 2017</ref> gleichzeitig auf [[Englische Sprache|Englisch]] veröffentlicht als ''A Document of General Principles and Policies''<ref name=":1" />), auch als neue oder überarbeitete Charta bezeichnet,<ref name="Hroub" /><ref name=":9" /> ist ein programmatisches Dokument der [[Palästinenser|palästinensischen]] [[Islamismus|islamistischen]] Organisation [[Hamas]] vom Mai 2017. Einerseits bestärkt die Organisation darin ihr Ziel aus der [[Hamas-Charta|Gründungscharta von 1988]], ganz Palästina von dem „zionistischen Projekt“ (gemeint ist der Staat [[Israel]]) zu „befreien“. Das Dokument bezeichnet dies als laut [[Völkerrecht]] legitimierten [[Widerstand (Politik)|bewaffneten Widerstand]] gegen eine [[Okkupation|Besatzungsmacht]].<ref name=":1" /> Andererseits lässt es auch die Tür für die Anerkennung des israelischen Staates offen, sofern ein „nationaler Konsens“ (in Form eines Referendums<ref name="ayoob133" /><ref name="Schulz70" />) zu einem unabhängigen palästinensischen Staat „gemäß den [[Grüne Linie|Linien vom 4. Juni 1967]]“ mit [[Jerusalem]] als Hauptstadt sowie einem Rückkehrrecht für [[Palästinensisches Flüchtlingsproblem|geflüchtete Palästinenser]] besteht.<ref name=":7" /> Viele Beobachter sahen darin einen schwer lösbaren Widerspruch.▼
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▲Das '''Hamas-Grundsatzpapier''' ({{arS|وثيقة المبادئ والسياسات العامة لحركة حماس‎|
== Historischer Kontext ==
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Als die Hamas 2007 die Macht im Gazastreifen übernahm, reagierten Israel und Ägypten sofort mit einer von den [[USA]] und der [[Europäische Union|Europäischen Union]] gebilligten Blockade.<ref name="SWP" /><ref name="Hroub" /> Weitere Sanktionen der [[Palästinensische Autonomiebehörde|Palästinensischen Autonomiebehörde]] steigerten die Unzufriedenheit mit der Hamas-Regierung in Gaza.<ref name="SWP" /><ref name="WC170502" />
2012 gewannen die [[Muslimbrüder]] die ägyptischen Präsidentschaftswahlen; als Organisation, die selbst aus den Muslimbrüdern hervorgegangen war, hatte die Hamas damit nun eine freundliche Regierung in Kairo, die die Blockade lockerte.<ref name="Hroub" /> Ermutigt durch diese Entwicklung, unterstützte die Hamas daraufhin den [[Bürgerkrieg in Syrien seit 2011|Bürgerkrieg in Syrien]] in der
Auf internationaler Ebene hatte das [[Nahost-Quartett]] schon 2006 die Hamas zum Verzicht auf Terrorismus aufgefordert und hinzugefügt, Hamas müsse das [[Existenzrecht Israels]] sowie die zwischen der PLO und Israel abgeschlossenen Verträge anerkennen, um als politischer Verhandlungspartner gesehen zu werden.<ref name="Hroub" />
In der Folge spielte die Hamas die Bedeutung der antisemitischen [[Hamas-Charta|Charta von 1988]] in ihrer Selbstdarstellung gegenüber der internationalen Gemeinschaft fast systematisch herunter, ohne ihre Gültigkeit in Abrede zu stellen oder zu leugnen.<ref name=":6">{{Cite journal |last=Berti |first=Benedetta |title=Rebel Groups between Adaptation and Ideological Continuity: The Impact of Sustained Political Participation |journal=Government and Opposition |language=en |issue=3 |volume=54 |pages=513–535 |date=2018-11-28 |issn=0017-257X
Die Hamas hoffte, durch die veränderte Selbstdarstellung ihre Beziehungen zum Westen, den [[Persischer Golf#Anrainerstaaten|Golfstaaten]] und [[Ägypten]] und zur [[Fatah]] zu verbessern und bei internationalen Nahostgesprächen in Zukunft einen Platz am Verhandlungstisch zu bekommen.<ref name="Economist">{{Cite news |title=Does Hamas want to keep fighting Israel or start talking peace? |work=[[The Economist]] |date=2023-11-30 |url=https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2023/11/30/does-hamas-want-to-keep-fighting-israel-or-start-talking-peace |access-date=2023-12-08 |language=en| issn=0013-0613}}</ref><ref>''[https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-05/nahostkonflikt-hamas-aenderung-politisches-programm-israel Hamas ändert ihre politischen Positionen]'', Die Zeit, 1. Mai 2017</ref> Zudem wollte die Hamas wohl auch attraktiver für potenzielle Geldgeber aussehen.<ref name="WC170502" /> Die Präsentation der neuen Charta im Mai 2017 war die letzte Amtshandlung von Maschal, eine Woche vor Ende seiner fünften Amtszeit als Hamas-Führer.<ref name="Brenner205" /> Das Papier war sein Vermächtnis, mit dem seine Nachfolger diese strategischen Ziele erreichen sollten.<ref name="Brenner205" /><ref>{{Internetquelle |autor=Peter Münch |url=https://www.sueddeutsche.de/politik/hamas-mann-des-volkes-1.3494209 |titel=Mann des Volkes |werk=Süddeutsche Zeitung |datum=2017-05-07 |sprache=de |abruf=2023-12-21}}</ref>▼
▲In der Folge spielte die Hamas die Bedeutung der antisemitischen [[Hamas-Charta|Charta von 1988]] in ihrer Selbstdarstellung gegenüber der internationalen Gemeinschaft fast systematisch herunter, ohne ihre Gültigkeit in Abrede zu stellen oder zu leugnen.<ref name=":6">{{Cite journal |last=Berti |first=Benedetta |title=Rebel Groups between Adaptation and Ideological Continuity: The Impact of Sustained Political Participation |journal=Government and Opposition |language=en |issue=3 |volume=54 |pages=513–535 |date=2018-11-28 |issn=0017-257X |doi=10.1017/gov.2018.44 |url=https://www.cambridge.org/core/journals/government-and-opposition/article/abs/rebel-groups-between-adaptation-and-ideological-continuity-the-impact-of-sustained-political-participation/665BD25AFD7FDCBA855D8C2D2197434D}}</ref> 2007 schrieb [[Mousa Abu Marzouk]], der damalige stellvertretende Leiter des Politbüros der Hamas, in einem Gastbeitrag für die [[Los Angeles Times]], alle Staaten und Bewegungen hätten wohl eine Menge zu verantworten, wenn man sie nur nach ihren revolutionären Gründungsdokumenten oder den Ideen ihrer Vorfahren beurteilen würde.<ref name=":6" /><ref>{{Cite web |last=Marzook |first=Mousa Abu |title=Hamas' stand |language=en-US |date=2007-07-10 |url=https://www.latimes.com/la-oe-marzook10jul10-story.html |website=Los Angeles Times |access-date=2023-12-17}}</ref> Im Mai 2009 behauptete der Hamas-Führer [[Chalid Maschal]], die Charta sei zu ignorieren – die Umstände hätten sich seitdem verändert.<ref name=":5" /> 2017 wurde schließlich unter Maschal gegen interne Widerstände die gemäßigtere Selbstdarstellung herausgegeben.<ref name=":5" />
Bei den Hamas-Wahlen Anfang 2017 war [[Ismail Haniyya]], der Leiter der Hamas im Gazastreifen, zum Chef der Hamas gewählt worden.<ref name="Brenner205" /> Sein Nachfolger im Gazastreifen war [[Yahya Sinwar]], ein militärischer Hardliner, der gleichzeitig auch als Haniyyas Stellvertreter im Politbüro fungierte.<ref name="Hroub" /><ref name="Brenner205" /> Sinwar war besonders daran gelegen, die Beziehungen der Hamas zur [[Fatah]] zu verbessern; einige Monate später, im Oktober 2017, kam es zu einem Versöhnungsabkommen zwischen den beiden Organisationen.<ref name="SWP">Muriel Asseburg: ''[https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2017A73_ass.pdf Das Versöhnungsabkommen zwischen Fatah und Hamas von Oktober 2017]'', ''SWP-Aktuell'', Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Oktober 2017</ref><ref name="Brenner205" /> In Bezug auf Israel war Sinwars Politik wechselhaft; manchmal wies er jede Möglichkeit einer Einigung mit Israel zurück und rief seine Kämpfer dazu auf, mehr israelische Soldaten gefangen zu nehmen und gegen die israelische „Belagerung“ zu kämpfen, bei anderen Gelegenheiten sprach er von friedlichem Volkswiderstand und deutete Bereitschaft zu Verhandlungen mit Israel an.<ref name="Brenner205" /><ref name="Spiegel231215" /> Im Oktober 2023 war Sinwar einer der Drahtzieher hinter dem [[Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023|Terrorangriff der Hamas auf Israel]].<ref name="Spiegel231215">{{Internetquelle |autor=Monika Bolliger, Julia Amalia Heyer, Susanne Koelbl, Christoph Reuter, Fritz Schaap, Thore Schröder und Bernhard Zand |url=https://www.spiegel.de/ausland/hamas-und-ihr-mastermind-das-monster-von-gaza-die-spiegel-titelstory-a-dfafb912-088d-45b9-9871-d7ba92ce9f76 |titel=Die Hamas und ihr Mastermind. Das Monster von Gaza |datum=2023-12-15 |sprache=de |abruf=2023-12-22}}</ref>▼
▲Die Hamas hoffte, durch die veränderte Selbstdarstellung ihre Beziehungen zum Westen, den [[Persischer Golf#Anrainerstaaten|Golfstaaten]] und [[Ägypten]] und zur [[Fatah]] zu verbessern und bei internationalen Nahostgesprächen in Zukunft einen Platz am Verhandlungstisch zu bekommen.<ref name=Economist>{{Cite news |title=Does Hamas want to keep fighting Israel or start talking peace? |work=[[The Economist]] |date=2023-11-30 |url=https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2023/11/30/does-hamas-want-to-keep-fighting-israel-or-start-talking-peace |access-date=2023-12-08 |language=en| issn=0013-0613}}</ref><ref>''[https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-05/nahostkonflikt-hamas-aenderung-politisches-programm-israel Hamas ändert ihre politischen Positionen]'', Die Zeit, 1. Mai 2017</ref> Zudem wollte die Hamas wohl auch attraktiver für potenzielle Geldgeber aussehen.<ref name="WC170502" /> Die Präsentation der neuen Charta im Mai 2017 war die letzte Amtshandlung von Maschal, eine Woche vor Ende seiner fünften Amtszeit als Hamas-Führer.<ref name="Brenner205" /> Das Papier war sein Vermächtnis, mit dem seine Nachfolger diese strategischen Ziele erreichen sollten.<ref name="Brenner205" /><ref>{{Internetquelle |autor=Peter Münch |url=https://www.sueddeutsche.de/politik/hamas-mann-des-volkes-1.3494209 |titel=Mann des Volkes |werk=Süddeutsche Zeitung |datum=2017-05-07 |sprache=de |abruf=2023-12-21}}</ref>
▲Bei den Hamas-Wahlen Anfang 2017 war [[Ismail Haniyya]], der Leiter der Hamas im Gazastreifen, zum Chef der Hamas gewählt worden.<ref name="Brenner205" /> Sein Nachfolger im Gazastreifen war [[Yahya Sinwar]], ein militärischer Hardliner, der gleichzeitig auch als Haniyyas Stellvertreter im Politbüro fungierte.<ref name="Hroub" /><ref name="Brenner205" /> Sinwar war besonders daran gelegen, die Beziehungen der Hamas zur [[Fatah]] zu verbessern; einige Monate später, im Oktober 2017, kam es zu einem Versöhnungsabkommen zwischen den beiden Organisationen.<ref name="SWP">Muriel Asseburg: ''[https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2017A73_ass.pdf Das Versöhnungsabkommen zwischen Fatah und Hamas von Oktober 2017]'', ''SWP-Aktuell'', Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Oktober 2017</ref><ref name="Brenner205" /> In Bezug auf Israel war Sinwars Politik wechselhaft; manchmal wies er jede Möglichkeit einer Einigung mit Israel zurück und rief seine Kämpfer dazu auf, mehr israelische Soldaten gefangen zu nehmen und gegen die israelische „Belagerung“ zu kämpfen, bei anderen Gelegenheiten sprach er von friedlichem Volkswiderstand und deutete Bereitschaft zu Verhandlungen mit Israel an.<ref name="Brenner205" /><ref name="Spiegel231215" /> Im Oktober 2023 war Sinwar einer der Drahtzieher hinter dem [[Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023|Terrorangriff der Hamas auf Israel]].<ref name="Spiegel231215">{{Internetquelle |autor=Monika Bolliger, Julia Amalia Heyer, Susanne Koelbl, Christoph Reuter, Fritz Schaap, Thore Schröder und Bernhard Zand |url=https://www.spiegel.de/ausland/hamas-und-ihr-mastermind-das-monster-von-gaza-die-spiegel-titelstory-a-dfafb912-088d-45b9-9871-d7ba92ce9f76 |titel=Die Hamas und ihr Mastermind. Das Monster von Gaza |datum=2023-12-15|sprache=de |abruf=2023-12-22}}</ref>
== Präsentation ==
Maschal präsentierte das Dokument im Rahmen einer Pressekonferenz am 1. Mai 2017 in [[Doha]],<ref name=":1" /><ref name="Polka" /> unmittelbar bevor er durch den aus dem Gazastreifen stammenden [[Ismail Haniyya]] als Hamas-Führer ersetzt wurde.<ref>{{Cite web |last=Al-Mughrabi |first=Nidal |title=Hamas elects former deputy Haniyeh as new political chief |language=en |date=2017-05-06 |url=https://www.reuters.com/article/idUSKBN1820DT/ |access-date=2023-12-08}}</ref> Das Dokument war das Ergebnis jahrelanger interner Diskussionen; viele Hamas-Mitglieder betrachteten den Text als kontrovers.<ref name="Brenner205">{{Cite book |last=Brenner |first=Björn |url=https://books.google.co.uk/books?id=8D9DEAAAQBAJ&pg=PA205&hl=en&newbks=1&newbks_redir=0&f=false |title=Gaza Under Hamas: From Islamic Democracy to Islamist Governance |date=2021-11-30 |publisher=Bloomsbury Academic |page=205–217 |isbn=978-0-7556-3439-2 |language=en}}</ref>
Maschal beschrieb den Kurs der Hamas-Bewegung bei seiner Präsentation nun als Mittelweg zwischen zwei Polen: Extremismus (''tatarruf'' oder ''taschaddud'') und Flexibilität (''
In einer Abkehr vom Ton der ursprünglichen Charta, wo der Kampf gegen Israel auf eine religiöse Grundlage gestellt wurde, sagte das neue Dokument, dass ein nationalistischer Konflikt „mit dem zionistischen Projekt“ bestehe, „nicht mit den Juden wegen ihrer Religion.“<ref name=":1" /><ref name="Brenner205" /> Die ursprüngliche Charta wurde dabei jedoch nicht ausdrücklich widerrufen, vielmehr von einigen Hamas-Führungspersönlichkeiten als „historisches Dokument“ und „Teil einer früheren Phase in unserer Evolution“ bezeichnet.<ref name="Brenner205" /> Die Hamas erklärte ferner ihre Bereitschaft, jedes in einem Volksreferendum akzeptierte Friedensabkommen zu unterstützen,<ref name="ayoob133">{{Cite book |last=Ayoob |first=Mohammed |url=https://books.google.co.uk/books?id=rjLDDwAAQBAJ&pg=PA133&lpg=PA133&f=false |title=The Many Faces of Political Islam: Religion and Politics in Muslim Societies |last2=Lussier |first2=Danielle Nicole |date=2020 |publisher=University of Michigan Press |isbn=978-0-472-03765-0 |pages=133 |language=en}}</ref><ref name="Schulz70" /> und distanzierte sich von allen ausländischen islamistischen Organisationen, einschließlich der [[Muslimbrüder]].<ref name="Brenner205" /> Die Muslimbrüder wurden in dem Dokument namentlich nicht mehr erwähnt – wenn auch an einigen Stellen immer noch Anklänge an ihre Ideologie feststellbar waren.<ref name="Polka" /><ref>Rickard Lagervall: ''The Muslim Brotherhood''. In: Muhammad Afzal Upal, Carole M. Cusack (Hrsg.): ''Handbook of Islamic Sects and Movements''. Brill, Leiden 2021, S. 73–85, hier: S. 82.</ref>
== Inhalt ==
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Das „zionistische Projekt“ (Absätze 14 bis 17) wird als „rassistisches, aggressives, kolonialistisches und expansionistisches Projekt“ beschrieben, das dem palästinensischen Volk und seinem Streben nach Freiheit, Rückkehr und Selbstbestimmung feindlich gegenübersteht.<ref name=":0">{{Cite book |last=Schulz |first=Michael |title=Between Resistance, Sharia Law, and Demo-Islamic Politics |publisher=Rowman & Littlefield |date=2020-11-03 |language=en |page=72 |isbn=978-1-5381-4610-1 |url=https://books.google.co.uk/books?id=4WQGEAAAQBAJ&newbks=1&newbks_redir=0&printsec=frontcover&pg=PA72&f=false}}</ref> Dieses Projekt stelle nicht nur eine Bedrohung für die Palästinenser dar, sondern bedrohe auch die „Sicherheit und die Interessen“ der ganzen arabischen und islamischen Ummah.<ref name=":0" /> Der Konflikt drehe sich allein um dieses Projekt; es gebe keinen religiös begründeten Konflikt mit Juden.<ref name=":1" /><ref name="Brenner205" /> Antisemitismus und Judenverfolgung seien vielmehr mit der europäischen – nicht der arabischen oder muslimischen – Geschichte verbundene Phänomene.<ref name=":1">Jean-François Legrain: ''Hamas according to Hamas: A reading of its Document of General Principles''. In: Shahram Akbarzadeh (Hrsg.): ''Routledge Handbook of Political Islam'', Routledge, London 2020, S. 79–90.</ref><ref>{{Cite journal |last=Alsoos |first=Imad |title=From jihad to resistance: the evolution of Hamas’s discourse in the framework of mobilization |journal=Middle Eastern Studies |language=en |issue=5 |volume=57 |pages=833–856 |date=2021-09-03 |issn=0026-3206|doi=10.1080/00263206.2021.1897006 |url=https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00263206.2021.1897006}}</ref> Die Hamas lehne „die Verfolgung irgendeines Menschen oder die Untergrabung seiner Rechte aus nationalistischen, religiösen oder konfessionellen Gründen“ ab.<ref name=":1" />
Unter der Überschrift „Der Standpunkt zur Besatzung und politischen Lösungen“ (Absätze 18 bis 23) beschreibt das Dokument die Zwei-Staaten-Lösung, das heißt die Schaffung eines vollständig souveränen und unabhängigen palästinensischen Staates gemäß den [[Grüne Linie|Waffenstillstandslinien von 1967]], mit Jerusalem als Hauptstadt und „Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Häuser, aus denen sie vertrieben wurden“, als „Formel des nationalen Konsensus“.<ref name=":1" /><ref name="Croitoru2024">{{Literatur |Autor=Joseph Croitoru |Titel=Die Hamas: Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel |Verlag=C.H.Beck |Datum=2024
Die im [[Oslo-Friedensprozess]] getroffenen Abkommen werden als unvereinbar mit dem Völkerrecht kritisiert und zurückgewiesen.<ref name=":1" /> Der mit der Beihilfe westlicher Nationen geschaffene Staat Israel wird nach wie vor als „vollkommen illegal“ (arabisch ''bâtil'', ein Wort, das auch religiöse Konnotationen hat) angesehen.<ref name=":1" /> Der britisch-palästinensische Akademiker Tareq Baconi sah zwei Gründe für die fehlende Anerkennung Israels in dem Dokument: Nach Ansicht der Hamas hatte die PLO ihre eigene Verhandlungsposition geschwächt, als sie Israel anerkannte, ohne im Gegenzug eine Anerkennung des palästinensischen Staates zu fordern; zudem sei es aus der Perspektive der Palästinenser ideologisch unmöglich, den Zionismus und die Kolonialisierung Palästinas zu legitimieren.<ref name=":8">{{Literatur |Titel=Transcript: Ezra Klein Interviews Tareq Baconi |Sammelwerk=The New York Times |Datum=2023-12-05 |ISSN=0362-4331 |Online=https://www.nytimes.com/2023/12/05/podcasts/transcript-ezra-klein-interviews-tareq-baconi.html |Abruf=2024-01-19}}</ref>
Zeile 47:
Der Teil „Widerstand und Befreiung“ (Absätze 24 bis 26) beruft sich ebenfalls auf das Völkerrecht. Dieses legitimiere den bewaffneten Widerstand gegen eine Besatzungsmacht, und man sehe den bewaffneten Widerstand als „strategische Wahl zum Schutz der Prinzipien und Rechte des palästinensischen Volkes“ an.<ref name=":1" /><ref name="Hroub" /> Gleichzeitig spricht das Dokument in Absatz 26 von einer „Diversifizierung“ der im Rahmen des Widerstands und dessen „Eskalation und Deeskalation“ eingesetzten Mittel und Methoden.<ref name=":1" />
Im Teil „Das palästinensische politische System“ (Absätze 27 bis 34) betont das Dokument Gemeinsamkeiten mit anderen palästinensischen Gruppierungen und bekennt sich zu „Pluralismus, Demokratie, nationaler Partnerschaft, Akzeptanz des Anderen und der Führung von Dialogen“.<ref name="Brenner205" /> Differenzen werden heruntergespielt.<ref name="Brenner205" /> Ziel seien Einigkeit und Stärkung des gemeinsamen Handelns, um die Bestrebungen des palästinensischen Volkes zu realisieren.<ref name="Brenner205" /> [[Armin Pfahl-Traughber]] wies in einem auf der Internetseite der [[Bundeszentrale für politische Bildung]] veröffentlichten Aufsatz darauf hin, dass die Hamas seit Jahren in Gaza keine Wahlen durchgeführt und auch keinen Pluralismus zugelassen hat. Hier werde deutlich, dass die „formale Mäßigung“ eine „strategische Täuschung“ zum Ziel habe.<ref
Die nationale Rolle der [[Palästinensische Befreiungsorganisation|PLO]] und der [[Palästinensische Autonomiebehörde|Palästinensischen Autonomiebehörde]] wird ausdrücklich anerkannt, und zum Abschluss wird auf die „fundamentale“ Rolle der palästinensischen Frauen im politischen Prozess verwiesen.<ref name="SWP" /><ref name="Hroub" />
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Mohammed Ayoob, Distinguished Professor für [[Internationale Beziehungen]] an der [[Michigan State University]], und Danielle Nicole Lussier werteten das Grundsatzpapier als Zeichen von „Pragmatismus“, da es die Möglichkeit einer [[Zwei-Staaten-Lösung]] offen ließ und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der [[Palästinensische Autonomiebehörde|Palästinensischen Autonomiebehörde]] signalisierte.<ref name="ayoob">{{Cite book |last=Ayoob |first=Mohammed |url=https://books.google.co.uk/books?id=rjLDDwAAQBAJ&pg=PA135&lpg=PA135&f=false |title=The Many Faces of Political Islam: Religion and Politics in Muslim Societies |last2=Lussier |first2=Danielle Nicole |date=2020 |publisher=University of Michigan Press |isbn=978-0-472-03765-0 |pages=135 |language=en}}</ref> Khaled Hroub (Northwestern University in Qatar, [[University of Cambridge]]) schrieb, die Hamas wolle sich hiermit „als verantwortungsvoller politischer Partner präsentieren, dessen Führung freie und faire Wahlen gewonnen hatte und der in der Lage sei, die Sprache der Politik und des Widerstands auf seine eigene Art zu sprechen.“<ref name="Hroub" /><ref name="ayoob" /> Die im Dokument enthaltenen Widersprüche – Akzeptanz eines palästinensischen Staats in den Grenzen von 1967 bei gleichzeitiger Ablehnung von Israels Existenzrecht, Anerkennung der PA bei gleichzeitiger Ablehnung der Osloer Abkommen – könnten auch als Möglichkeiten und Ansatzpunkte für weitere Entwicklungen gesehen werden.<ref name="Hroub" />
Beverley Milton-Edwards, Politikwissenschaftlerin an der [[Universität Belfast]], sagte, die Erklärung sei {{" |ein wichtiger Ausgangspunkt für künftige Friedensverhandlungen, einer, den auch andere arabische Konfliktparteien wie Syrien, Ägypten und die PLO als Teil einer Formel zur Lösung der Konflikte und zur Schaffung des Friedens vertreten haben.}}<ref>''[https://www.dw.com/de/hamas-erkl%C3%A4rung-ist-wichtiger-ausgangspunkt-f%C3%BCr-friedensverhandlungen/a-38663631 "Ausgangspunkt für Friedensverhandlungen" – DW]'', 2. Mai 2017, abgerufen am 4. November 2023.</ref> Muhammad Abu Saada, Professor an der [[Al-Azhar-Universität Gaza]],
Der der Hamas-Bewegung nahestehende<ref>Khaled Hroub: ''[https://www.proquest.com/openview/16f8ad4113e3b64e5e6a91377cfb406f/1 Recent Books: Insiders' Views of Hamas]''. In: ''[[Journal of Palestine Studies]].'' Vol. 37, Nr. 3, Frühling 2008, S. 93–96. Taylor & Francis, Ltd.</ref> britisch-palästinensische Politikwissenschaftler Azzam Tamimi meinte, das Grundsatzpapier würde die [[Hamas-Charta|Gründungscharta]] von 1988 „praktisch“ ersetzen.<ref name=":7">''[https://www.aljazeera.com/news/2017/5/2/hamas-accepts-palestinian-state-with-1967-borders Hamas accepts Palestinian state with 1967 borders]'' | Al Jazeera, 2. Mai 2017, abgerufen am 5. November 2023.</ref> [[Mustafa Barghuthi]], Parteivorsitzender der ''[[Palästinensische Nationale Initiative|Palästinensischen Nationalen Initiative]]'', sah in der Zustimmung zu einem palästinensischen Staat in den [[Grüne Linie|Grenzen von 1967]] die faktische Akzeptanz einer Zwei-Staaten-Lösung durch die Hamas und ein Zeugnis „politischer Reife“.<ref name=":7" /><ref name=":4">[https://edition.cnn.com/2017/05/01/middleeast/hamas-charter-palestinian-israeli/ Hamas presents new policy document | CNN], 3. Mai 2017, 10. November 2023.</ref> Michael Schulz ([[Universität Göteborg]]) wertete die Erklärung der Zwei-Staaten-Lösung zur „Formel des nationalen Konsensus“ als Bereitschaft seitens der Hamas, eine solche Lösung selbst gegen ihren Willen als permanent zu akzeptieren, wenn sie der eindeutig erklärte Wille des palästinensischen Volkes sei.<ref name="Schulz70">{{Cite book |last=Schulz |first=Michael |title=Between Resistance, Sharia Law, and Demo-Islamic Politics |publisher=Rowman & Littlefield |date=2020-11-03 |language=en |page=70 |isbn=978-1-5381-4610-1 |url=https://books.google.co.uk/books?id=4WQGEAAAQBAJ&newbks=1&newbks_redir=0&printsec=frontcover&pg=PA70&f=false}}</ref> Dies würde nach Schulz dann ein zukünftiges Referendum erfordern, an dem auch in der Diaspora lebende Palästinenser teilnehmen könnten.<ref name="Schulz70" /> Tristan Dunning, Politikwissenschaftler an der [[University of Queensland]], schrieb 2017, dass die Hamas seit Mitte der 1990er Jahre für eine Art dauerhafte Lösung mit Israel offen sei. Die Änderungen in der Charta seien daher positiv und überfällig, in vielerlei Hinsicht aber vielleicht zu wenig und zu spät, um die Dynamik des palästinensisch-israelischen Konflikts sinnvoll zu verändern.<ref>''[https://www.newarab.com/opinion/new-hamas-charter-too-little-too-late New Hamas Charter: Too little, too late? (newarab.com)]'', 2. Mai 2017, abgerufen am 10. November 2023.</ref> [[Mohammed Schtajjeh]] von der Palästinensischen Autonomiebehörde bemerkte dazu zu CNN: „Die Hamas debattiert über Dinge, die [die PLO] vor 43 Jahren gemacht hat.“<ref name=":4" /> Die Reaktionen in [[Fatah]]-Kreisen waren gemischt; vage Stellen in dem Dokument wurden kritisiert, doch insgesamt wurde es als Schritt in die richtige Richtung gelobt.<ref name="Croitoru2024" />
Jerome Slater (Professor emeritus, [[State University of New York at Buffalo]]) wies auf den offensichtlichen logischen Widerspruch hin, dass das Dokument einerseits ein Israel in den Grenzen von 1967 zu akzeptieren schien, andererseits aber auch das Recht der Palästinenser auf Rückkehr in ihre ursprüngliche, nun in Israel liegende Heimat forderte.<ref name=":5" /> Falls eine israelische Regierung ernsthaft an einer politischen Einigung interessiert gewesen wäre, hätte sie allerdings die neue Hamas-Charta und andere Anzeichen von Mäßigung seitens der Hamas als Grundlage für weitere Gespräche nutzen können, was aber nicht geschah.<ref name=":5" />
Jonathan A. Greenblatt, Direktor der [[Anti-Defamation League]], meinte: „Die neue Charta trägt wenig zum Frieden bei, aber viel zur Aufrechterhaltung des Konflikts.“<ref name=":9">''[https://www.haaretz.com/opinion/2017-05-03/ty-article/adl-chief-on-hamas-new-charter-same-old-anti-semitism/0000017f-ef7f-d497-a1ff-efff9afb0000 Hamas: New Charter, Same Old Anti-Semitism]'' | ADL, 3. Mai 2017, abgerufen am 5. November 2023.</ref> Die Hamas sei immer noch eine zutiefst antisemitische Organisation, die den Weg des Terrors beschreite und das Existenzrecht Israels leugne.<ref name=":9" /> Der Journalist Tim Aßmann sah im Grundsatzpapier eine moderatere Wortwahl, aber keine wesentliche Positionsänderung der Hamas.<ref name=":10">''[https://www.dw.com/de/kommentar-sinneswandel-oder-lippenbekenntnis-der-hamas/a-38682936 Sinneswandel oder Lippenbekenntnis?]'' – DW, 3. Mai 2017, abgerufen am 4. November 2023.</ref> Die Forscher am [[Washington Institute for Near East Policy]] Matthew Levitt und Maxine Rich werteten es als einen Versuch, sich moderater zu geben, um angesichts der tristen ökonomischen Lage im Gazastreifen, zuletzt durch eine Energiekrise verschärft, sowie angesichts des Kampfes der ägyptischen Regierung gegen die Muslimbrüder größere internationale Unterstützung zu gewinnen.<ref>Matthew Levitt, Maxine Rich: ''Hamas’s Moderate Rhetoric Belies Militant Activities''. Policy Analysis, PolicyWatch 2794, 1. Mai 2017 ([https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/hamass-moderate-rhetoric-belies-militant-activities washingtoninstitute.org]).</ref> Regierungsnahe Kreise in Ägypten nahmen eine ähnlich skeptische Haltung ein, begrüßten aber, dass sich die Hamas nun von den Muslimbrüdern distanziert hatte.<ref name="Croitoru2024" />
Die Politikwissenschaftlerin [[Ljiljana Radonić]] analysierte Reaktionen auf das Papier in einigen linken Internetplattformen und dem Leserforum der österreichischen Zeitung ''[[Der Standard]]'' und kam zu dem Ergebnis, dass dort das im Papier deutlich ausgesprochene Festhalten der Hamas an dem Ziel, Israel zu vernichten, absichtsvoll ignoriert werde; stattdessen würden häufig Parallelen zwischen der israelischen Politik und dem Nationalsozialismus gezogen. Dies sei ein Hinweis auf linken Antisemitismus, der sich als Antizionismus ausgebe.<ref name="Radonic">Ljiljana Radonić: ''New Antisemitism and New Media: Leftist Derealization of Islamist “Emancipation”.'' In: [[Armin Lange]], Kerstin Mayerhofer, [[Dina Porat]], Lawrence H. Schiffman (Hrsg.): ''Confronting Antisemitism in Modern Media, the Legal and Political Worlds.'' De Gruyter, Berlin / Boston 2021, ISBN 978-3-11-058243-7, S. 111–132 ([https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110671964-008/html Open Access auf degruyter.com]).</ref> Der Historiker [[Michael Wolffsohn]] meinte, die Hamas habe ihr Terror-Haus und ihren Judenhass nur „pinselsaniert“.<ref name="Radonic" /><ref>Michael Wolfssohn: ''[https://www.cicero.de/aussenpolitik/hamas-paper-neue-fassade-altes-haus Neue Fassade, altes Haus]'', Cicero, 8. Mai 2017</ref>
Shaul Bartal, israelischer Militär-Analyst und Dozent für palästinensische Angelegenheiten an der [[Bar-Ilan-Universität]], konstatierte, der bei einer Zwei-Staaten-Lösung geschaffene palästinensische Staat wäre dann ein Staat ohne Zugeständnisse hinsichtlich des Rechts auf Rückkehr und ohne eine dauerhafte, auch für künftige Generationen verbindliche Lösung.<ref name=":3" /> David Keyes, von 2016 bis 2018 Sprecher des israelischen Premierministers [[Benjamin Netanjahu]], bezeichnete das Grundsatzpapier als Täuschungsversuch der Hamas.<ref name=":7" /><ref name=":5">{{Cite book |last=Slater |first=Jerome |title=Mythologies Without End: The US, Israel, and the Arab-Israeli Conflict, 1917-2020 |publisher=Oxford University Press |date= |year=2020 |language=en |pages=333–334 |isbn=978-0-19-045909-3 |url=https://books.google.co.uk/books?id=yVAAEAAAQBAJ&newbks=1&newbks_redir=0&printsec=frontcover&pg=PA334&dq=netanyahu+tore%7Ctearing+camera+hamas+charter&hl=en&redir_esc=y#v=onepage&f=false}}</ref> Netanjahu selbst zerknüllte ein Exemplar des Dokuments vor laufender Kamera und warf es in einen Papierkorb.<ref name=":5" /><ref name=":2" /> „Das neue Hamas-Dokument besagt, dass Israel kein Existenzrecht hat, dass jeder Zentimeter unseres Landes den Palästinensern gehört und dass es keine andere akzeptable Lösung gibt, als Israel zu beseitigen ... Sie wollen ihren Staat benutzen, um unseren Staat zu zerstören“, sagte Netanjahu.<ref name=":2">{{Internetquelle |url=https://www.jpost.com/israel-news/netanyahu-tosses-hamas-policy-paper-on-israel-into-waste-bin-490098 |titel=Netanyahu tosses Hamas policy paper on Israel into waste bin |werk=The Jerusalem Post |datum=2017-05-08 |sprache=en-US |abruf=2023-11-25}}</ref>
Zeile 76:
Das israelische ''[[Meir Amit]] Intelligence and Terrorism Information Center'' kam zum Ergebnis, das Hamas-Dokument von 2017 habe nichts an den tragenden Prinzipien der Hamas-Ideologie geändert, sondern diese nur aus tagespolitischen Interessen heraus modifiziert. Die Hamas verfolge weiterhin das Ziel, Israel durch bewaffneten Widerstand (Terror) zu eliminieren.<ref name="MeirAmit">Meir Amit Intelligence and Terrorism Information Center: [https://www.terrorism-info.org.il/Data/articles/Art_21201/E_093_17_956569418.pdf ''The goals and significance of Hamas’s new political document.''] 8. Mai 2017, S. 3–5 (PDF).</ref> Auch in der [[Europäische Union|Europäischen Union]], den USA und Russland fand das neue Dokument sehr zur Überraschung und Bestürzung der Hamas wenig positive Resonanz.<ref name="Brenner205" />
=== Analysen ab 2021 ===▼
Laut einer Analyse des Nahostexperten Björn Brenner aus dem Jahr 2021 hatte Maschal, kurz bevor er seine Macht in der Hamas einbüßte, versucht, die Ideologie der Hamas vor dem Führungswechsel mit der neuen Charta festzuzurren.<ref name="Brenner205" /> Interne Kritiker und Hardliner sahen sich nun angesichts des Mangels an positivem Echo bestätigt und wurden wieder lauter.<ref name="Brenner205" /> Der pragmatischere Ansatz habe nichts gebracht; gleichzeitig hatte die Hamas insbesondere durch die Distanzierung von den Muslimbrüdern, die vielen älteren Mitgliedern als ideologischer Kompass galt, einiges an ihrem Ruf unter anderen islamischen Organisationen eingebüßt.<ref name="Brenner205" /> Extremere islamistische Gruppen konnten der Hamas nun einen Mangel an religiöser Glaubwürdigkeit unterstellen.<ref name="Brenner205" /> Gleichzeitig spielte das im Exil befindliche Politbüro der Hamas nun eine weniger zentrale Rolle.<ref name="Brenner205" /> Die mit Regierungs- und militärischen Aufgaben beschäftigte Hamas-Führung in Gaza hatte in den vergangenen zehn Jahren dagegen an Macht gewonnen.<ref name="Brenner205" />
Laut dem Extremismusforscher [[Armin Pfahl-Traughber]], der auf die Kontinuitäten im Hamas-Papier hinwies, hatte die „formale Mäßigung“ der neuen Charta „ein klares Ziel“, nämlich „strategische Täuschung“. Schon allein die Formulierung „[[From the River to the Sea|vom Fluss bis zum Meer]]“ bedinge „eine entsprechende gewaltgeprägte Vernichtungsabsicht“ gegenüber dem Staat Israel. Veranschaulicht hätten das spätestens die [[Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023|Hamas-Massaker im Oktober 2023]].<ref name=":11">Armin Pfahl-Traughber: [https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-Charta-der-hamas/ ''Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas''] www.bpb.de, 8. November 2023</ref> Mark A. Green vom [[Wilson Center]] merkte an, dass die Hamas in ihrer Charta von 2017 zwar sagte, sie lehne „die Verfolgung irgendeines Menschen oder die Untergrabung seiner Rechte aus nationalistischen, religiösen oder konfessionellen Gründen“ ab, aber dennoch am 7. Oktober einen Terrorangriff auf Israel verübte, bei dem weit über 1.000 Menschen in Israel getötet wurden, die meisten davon unbewaffnete Zivilisten.<ref name="GrennWilson" /> Somit habe sich seit den antisemitischen, menschenfeindlichen und dschihadistischen Anfängen der Hamas in Wirklichkeit wenig geändert: „Im Jahr 2017 kleidete die Hamas ihre terroristischen Ziele in mehrdeutige, weniger gewalttätige Begriffe. Aber 2023 machte sie klar, wofür sie wirklich steht – in den Worten von Präsident Biden: ‚die Zerstörung des Staates Israel und die Ermordung des jüdischen Volkes‘.“<ref name="GrennWilson">''[https://www.wilsoncenter.org/blog-post/hamas-words-and-deeds Hamas: Words and Deeds…]'', [[Wilson Center]], 24. Oktober 2023</ref>
[[Jeffrey Herf]]
Daniel Byman ([[Georgetown University]]) und Mackenzie Holtz diskutierten am 6. Dezember 2023 in einer Analyse für das [[Center for Strategic and International Studies]] die Frage, warum die Hamas zu diesem Zeitpunkt, also am 7. Oktober 2023 zuschlug, obwohl doch die tödlichen Konsequenzen für sie selbst und die Bevölkerung des Gazastreifens absehbar waren.<ref name="CSIS" /> Sie vertraten die Meinung, dass ausbleibende positive Reaktionen auf die neue Charta die Ausübung einer Form eines Großangriffs wahrscheinlich in den Augen der Hamas attraktiver gemacht hätten.<ref name="CSIS" /> Die Hamas selbst habe dieses Papier als eine Geste der Mäßigung betrachtet und den Eindruck gewonnen, dies sei nirgends anerkannt worden, weder in Israel noch in der internationalen Gemeinschaft.<ref name="CSIS" /> Im Gegenteil seien die Jahre 2021 und 2022 für die Palästinenser besonders tödlich gewesen, die rechtsradikale Rhetorik in Israel habe an Schärfe zugenommen und sei mit Personen wie [[Bezalel Smotrich]] bis in die Regierung hinein hoffähig geworden.<ref name="CSIS" /> Ob es sich bei dem Papier lediglich um einen Täuschungsversuch seitens der Hamas gehandelt habe, könnten die beiden Autoren nicht entscheiden.<ref name="CSIS">Daniel Byman und Mackenzie Holtz: ''[https://www.csis.org/analysis/why-hamas-attacked-when-it-did Why Hamas Attacked When It Did]'', [[Center for Strategic and International Studies]], 6. Dezember 2023</ref> Der britisch-palästinensische Akademiker Tareq Baconi, Verfasser eines Buches über die Hamas, sagte im Dezember 2023, dass die Charta von 2017 Israel auf die Probe gestellt habe, indem sie den Grenzen von 1967 zugestimmt habe – und das Ausbleiben einer israelischen Reaktion habe den Palästinensern gezeigt, dass Israel nicht an der Linie von 1967 interessiert sei.<ref name=":8" />
Laut der Islamwissenschaftlerin [[Gudrun Krämer]] zeugt das Grundsatzpapier davon, dass es neben den Vernichtungsfantasien auch andere Stimmen in der Hamas gegeben habe, die die vorläufige Anerkennung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 befürwortet hätten.<ref name="DFunk" /> Benjamin Hammer, ehemaliger Korrespondent in Tel Aviv, sieht in dem Papier aber auch eine gewisse „Sprachakrobatik“.<ref name="DFunk" /> Die Hamas habe die Zweistaatenlösung „so halb anerkannt, ohne Abstand zu nehmen von ihren Vernichtungsfantasien gegen Israel“.<ref name="DFunk" /> Dass sich letztlich die Vernichtungsfantasien durchgesetzt hätten, begründet Hammer auch mit innerpalästinensischen Gegebenheiten.<ref name="DFunk">{{Internetquelle |autor= |url=https://www.deutschlandfunk.de/hamas-gruendung-radikalisierung-100.html |titel=Hamas: Geschichte einer Radikalisierung |werk=Deutschlandfunk |datum=2023-12-12 |abruf=2023-12-17}}</ref> [[Yahya Sinwar]], ab Februar 2017 das politische und militärische Oberhaupt der Hamas im Gazastreifen, hatte Berichten zufolge die neue Charta befürwortet, dann aber eine extremere Position angenommen, als eine politische Einigung mit Israel ausblieb.<ref name="Economist2">{{Cite news |title=Does Hamas want to keep fighting Israel or start talking peace? |url=https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2023/11/30/does-hamas-want-to-keep-fighting-israel-or-start-talking-peace |work=[[The Economist]] |date=2023-11-30 |language=en |access-date=2023-12-08 |issn=0013-0613}}</ref>
[[Joseph Croitoru]] wies 2024 darauf hin, dass die Veröffentlichung des Grundsatzpapiers eine gewisse Verwirrung auslöste, weil die in ihm signalisierte Mäßigung nicht ganz im Einklang mit Veränderungen in der Führungsstruktur der Hamas stand.<ref name="Croitoru2024" /> Bei den Wahlen für das Gaza-Politbüro im Februar 2017 hatte der militärische Arm der Hamas, die [[Qassam-Brigaden]], an Macht gewonnen.<ref name="Croitoru2024" /> Auch die Wahl Haniyyas zum neuen Politchef der Hamas-Auslandsführung in [[Katar]] spiegelte laut Croitoru den zunehmenden Einfluss der Qassam-Brigaden wider.<ref name="Croitoru2024" /> Diejenigen, die in der Wahl Haniyyas das Potenzial einer langfristigen Mäßigung sahen, hätten übersehen, dass sich Haniyya vor und nach seiner Wahl zum Hamas-Politchef zunehmend mit den Qassam-Brigaden solidarisiert hätte.<ref name="Croitoru2024" /> Der Mäßigungskurs, den die Auslandsführung der Hamas mit dem neuen politischen Programm angedeutet hatte, sei jedenfalls nicht konsequent weiterverfolgt worden, da er die Hamas ihren Zielen kaum nähergebracht hätte; langfristig hätte dies zum weiteren Erstarken des militanten Lagers in der Hamas-Führung beigetragen.<ref name="Croitoru2024" /> Die Versöhnung mit der Fatah – Mitte Oktober 2017 wurde in Kairo ein Abkommen über Zusammenarbeit und die Bildung einer Einheitsregierung unterzeichnet – war von kurzer Dauer; ein knappes halbes Jahr später kam es erneut zum Bruch.<ref name="Croitoru2024" />
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