Neutralleiter
Ein Neutralleiter ist im Niederspannungsnetz ein Leiter, der mit dem Neutralpunkt elektrisch verbunden und in der Lage ist, zur Verteilung elektrischer Energie beizutragen.[1]
Kennzeichnung und Ausführung
Der Neutralleiter wird in Europa mit dem Buchstaben N bezeichnet und ausschließlich mit der Farbe Blau (früher Hellblau, in der Schweiz bis 1989 Gelb) über die gesamte Länge gekennzeichnet.
Die in vielen Ländern Europas verbreitete Schukosteckdose vom Typ CEE 7/4 ist symmetrisch und unterscheidet nicht die zwei stromführenden Leiter Außenleiter und Neutralleiter; bei anderen Steckdosen, beispielsweise bei der in der Schweiz verwendeten Dosen nach der Norm SEV 1011, ist die Belegung festgelegt. Eine Erdung angeschlossener Geräte erfolgt ausschließlich über den Schutzleiter (PE).
Entgegen vielen Meinungen gibt es bei CEE-7/4-Steckdosen keine Norm, welche die Position des Neutralleiters „links“ oder „rechts“ bei waagerecht angeordneten Steckbuchsen festlegt.[2] Bei Steckdosen nach der Schweizer Norm SEV 1011 ist der Neutralleiter vom Betrachter aus gesehen links.
Grundlagen
In Deutschland ist gemäß Definition in DIN VDE 0100-200 (Abschnitt 826-12-08) der Neutralleiter ein aktiver Leiter wie auch die Außenleiter und dafür vorgesehen, im regulären Betrieb Strom zu führen. In Verbraucheranlagen auf Basis TN-C und TN-C-S Systemen gilt der Neutralleiter als geeignet niederohmig geerdet, wenn in keinem Fall die jeweils zulässige Berührungsspannung zwischen Neutralleiter und Schutzleiter überschritten wird,[3] er „braucht“ daher nicht (gemeinsam mit den Außenleitern) getrennt zu werden.
Im Dreiphasenwechselstromnetz hebt sich der Strom im Neutralleiter auf, wenn in allen drei Außenleitern Ströme gleicher Stromstärke, gleicher Phasenverschiebung und ohne Oberschwingungsanteil fließen. Bei ungleichen Strömen in den Außenleitern fließt im Neutralleiter ein Strom, der die Asymmetrie ausgleicht und unter obigen Bedingungen maximal den Strom des am stärksten belasteten Außenleiters erreicht. Bei unterschiedlicher Phasenverschiebung der Ströme in den Außenleitern, bzw. bei Oberschwingungen (speziell der 3. Ordnung) zusätzlich zur Grundfrequenz kann der Strom im Neutralleiter den Strom des am stärksten belasteten Außenleiters wesentlich übertreffen.
Historische Entwicklung in Deutschland
In Deutschland gab es in den alten VDE-Vorschriften keinen Neutralleiter. Noch im Jahr 1958 wurde dort ausschließlich das Prinzip der Nullung angewendet. Der geerdete Mittel-Leiter wurde als Nulleiter (damalige Schreibweise) bezeichnet. Er hatte die Funktion des Schutzleiters und des Neutralleiters in sich vereinigt, entsprach also in seiner Funktion dem heutigen PEN-Leiter. Er wurde mit der Farbe Hellgrau gekennzeichnet.[4]
Seit 1965 gibt es den Begriff Mittelleiter, der erstmals funktional dem heutigen Neutralleiter entsprach und in der Farbe Hellblau verdrahtet wurde.[5] Gleichzeitig wurde die grün/gelbe Kennzeichnung für den Schutzleiter eingeführt und der damals noch zulässige Nulleiter wurde in der Farbgebung von Hellgrau auf Grün/Gelb geändert.[6]
Im Jahr 1973 wurde die sogenannte „klassische Nullung“ unterbunden[7] und im Juni 1975 wurde der Nulleiter verbindlich in PEN umbenannt.[8]
Die Drahtfarben von 1965 blieben bis 2003 unverändert und die aktuelle Drahtfarbe Blau (anstatt Hellblau) für den Neutralleiter wurde mit der DIN VDE 0293-308:2003-01 eingeführt.[9]
Klassische PEN-Systeme findet man in Kundeninstallationen in Deutschland, die vor dem 31. März 1974 fertiggestellt wurden und nach aktueller Norm nur im Verteilernetz der Netzbetreiber und für besondere Anwendungen. Die Aufteilung von PEN in den PE- und N-Leiter erfolgt heute unmittelbar an der Übergabe vom Netzbetreiber in die Kundenanlage im Hausanschlusskasten.
Der Begriff „Neutralleiter“ wurde erstmals 1983 in der VDE genannt.[10]
Der Neutralleiter wird auch heute oftmals noch unzutreffend als Nullleiter bezeichnet und fälschlich wird als frühere Drahtfarbe auch „Grau“ angegeben, es handelt sich aber in beiden Fällen um einen Leiter. der heute dem PEN-Leiter entspricht.
Neutralleiter-Unterbrechung
In einem mehrphasigen Netz, z. B. einem Dreiphasenwechselstromnetz, bilden im Falle einer Unterbrechung des Neutralleiters („Neutralleiterabriss“) die Widerstände der Verbrauchsmittel an den einzelnen Außenleitern einen Spannungsteiler, wodurch sich das Potential des nun „freien“ oder „schwebenden“ Sternpunkts bei asymmetrischer Belastung der Außenleiter verschieben kann. Diese ungleiche Lastaufteilung wird als Schieflast bezeichnet. So kann bei stark ungleichen Strömen in den Außenleitern, die Spannung zwischen dem am geringsten belasteten Außenleiter und dem Sternpunkt nahezu auf die Spannung zwischen zwei Außenleitern steigen. Das kann zu Überspannungsschäden führen.
Gemäß aktueller Normen in Deutschland braucht der Neutralleiter nicht geschaltet zu werden. Der Neutralleiter darf aber unter keinen Umständen alleine, sondern immer nur gemeinsam mit allen aktiven Leitern eines Stromkreises und nur mit normgerechten Geräten (mit gekennzeichneten N-Klemmen) geschaltet werden. Eine schaltungsbedingte Neutralleiterunterbrechung ist somit ausgeschlossen.
Spezielles
Im Gegensatz zu den Strömen der Grundschwingung heben sich die Ströme der durch drei teilbaren Harmonischen im Neutralleiter nicht auf, sondern addieren sich. Dies betrifft bei der in Europa üblichen Netzfrequenz von 50 Hz insbesondere die dritte Harmonische mit 150 Hz und die neunte Harmonische mit 450 Hz – geradzahlige harmonische Oberschwingungen spielen, so kein Gleichanteil vorhanden ist, keine Rolle. Dadurch besteht die Gefahr, dass in Anlagen mit mehreren Geräten, welche keine oder zu geringe Leistungsfaktorkorrektur aufweisen, wie beispielsweise Schaltnetzteile z. B. von Personalcomputern, Fernsehern oder Leuchtstofflampen mit elektronischen Vorschaltgeräten, der Neutralleiterstrom über den zulässigen Grenzen liegt, während die einzelnen Außenleiter ihren Maximalstrom, auf welchen die Absicherung dimensioniert ist, noch nicht erreicht haben. Neuere Normen tragen diesem Umstand Rechnung und enthalten Belastungstabellen für die gängigen Referenzverlegearten mit Spalten für unterschiedliche Oberschwingungsanteile der dritten Oberschwingung der Außenleiterströme.[11]
Gemäß einschlägiger nationaler Normen[12] dürfen im Neutralleiter keine einpoligen Schaltgeräte eingesetzt werden, bzw. müssen einpolige Wechselschalter im (selben) Außenleiter angeschlossen sein (was einen Einsatz im Neutralleiter ausschließt).
Normen
- DIN VDE 0100-100:2009-06; Errichten von Niederspannungsanlagen - Teil 1: Allgemeine Grundsätze, Bestimmungen allgemeiner Merkmale, Begriffe.
- DIN VDE 0100-200:2006-06; Errichten von Niederspannungsanlagen - Teil 200: Begriffe.
- DIN VDE 0100-510:2011-03; Errichten von Niederspannungsanlagen - Teil 5-51: Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel – Allgemeine Bestimmungen.
- DIN VDE 0293-308:2003-01; Kennzeichnung der Adern von Kabeln/Leitungen und flexiblen Leitungen durch Farben.
Literatur
- Wilhelm Rudolph: Einführung in DIN VDE 0100, Elektrische Anlagen von Gebäuden. 2. Auflage. Band 39. VDE Verlag, Berlin und Offenbach 1999, ISBN 3-8007-1928-2 (VDE Schriftenreihe).
Einzelnachweise
- ↑ In Deutschland: Definition gemäß DIN VDE 0100-200:2006-06 Abschnitt 826-14-07
- ↑ Entgegen der früheren Praxis, bei waagerecht angeordneten Buchsen den Neutralleiter (von vorne gesehen) links anzuschließen, setzt sich immer mehr die Variante mit Neutralleiter „rechts“ durch. Wird der Neutralleiter rechts angeschlossen, so ist bei der häufigen Benutzung „Winkelstecker mit nach unten zeigender Anschlussleitung“ die Kompatibilität mit dem französischen System (Typ E; CEE7/5) gegeben, für welches es in Frankreich eine verbindliche nationale Vorschrift für die Anschlussfolge gibt.
- ↑ DIN VDE 0100-460:2002-08 Abschnitt 461.2 ANMERKUNG 2: Der Neutralleiter wird in Belgien, Frankreich, Norwegen, Portugal, Spanien und in der Schweiz nicht als zuverlässig geerdet mit geeignet niedrigem Widerstand betrachtet.
- ↑ VDE 0100/11.58 „Beschaffenheit und Verlegung von Leitungen“ § 19 Leitungen (isolierte und umhüllte Leitungen, Kabel) Kennzeichnung von Adern:
Wird eine Ader als Nulleiter benutzt, so ist die hellgraue dafür zu verwenden. Wird bei Leitungen für ortsveränderliche Stromverbraucher eine Ader als Schutzleiter benutzt, so ist die rote dafür zu verwenden. - ↑ VDE 0100/12.65, § 10N, b 8.1 Hellblau: für den Mittelleiter. (bzw. auch in § 3c 2.)
- ↑ VDE 0100/12.65, § 10N, b 9.1 für den Schutzleiter und gleichzeitig in § 10N, b 8.1 für den Nullleiter
- ↑ VDE 0100/5.73 § 10 a) (2.2.) bei der Nullung ist ein Querschnitt von mindestens 10 mm² Cu anzuwenden; und unter (2.1.) für kleinere Querschnitte ist der „besondere Schutzleiter“ (der Vorläufer des heutigen PE) zusätzlich zum Mittelleiter zu verlegen.
- ↑ Der Antrag CENELEC 64A(CH)101/73 der Schweiz vom Oktober 1973 wurde bei der Konferenz am 26. Juni 1975 in Ankara vom TC 64 Komitee angenommen (und ein über 50 Jahre hinweg genutzter Begriff eliminiert, der 40 Jahren nach Umbenennung noch immer regelmäßig falsch angewendet wird).
- ↑ DIN VDE 0293-308:2003-011 Abschnitt 3.2
Für einadrige Kabel/Leitungen, die Neutralleiterfunktionen erfüllen, wird zur Kennzeichnung die Farbe Blau verwendet.
DIN VDE 0100-510:2011-03 Abschnitt 514.3.1.Z1 Neutralleiter oder Mittelleiter müssen über ihre gesamte Länge durch die Farbe Blaugekennzeichnet sein. - ↑ DIN VDE 0100-410:1983-11 und DIN VDE 0100-540:1983-11, erstmals spezifiziert in DIN VDE 0100-200:1998-06 im Abschnitt 2.1.3 (12/88 als Entwurf veröffentlicht)
- ↑ DIN VDE 100-520 Beiblatt 3:2012-10 Errichten von Niederspannungsanlagen - Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel; Teil 520: Kabel- und Leitungsanlagen - Beiblatt 3: Strombelastbarkeit von Kabeln und Leitungen in 3-phasigen Verteilungsstromkreisen bei Lastströmen mit Oberschwingungsanteilen. Mit Spalten für 15 ... 33 %, 33 ... 45 % und > 35 % (gerechnet mit 60 %)
- ↑ VDE 0100-460 Abschnitt 465.1.2; VDE 0100-550 Abschnitt 5; ÖVE E8001-2-31 Abschnitt 31.8.1; NIN (Schweiz) Abschnitt 5.3.0.2