„Ernest Ansermet“ – Versionsunterschied

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'''Ernest Ansermet''' (* [[11. November]] [[1883]] in [[Vevey]]; † [[20. Februar]] [[1969]] in [[Genf]]) war ein [[Schweiz]]er [[Dirigent]].
'''Ernest Ansermet''' (* [[11. November]] [[1883]] in [[Vevey]]; † [[20. Februar]] [[1969]] in [[Genf]]) war ein [[Schweiz]]er [[Dirigent]].


== Leben ==
== Leben ==
[[Datei:Ernest Ansermet (1965) by Erling Mandelmann.jpg|mini|Ernest Ansermet, 1965]]
[[Datei:Swiss-Commemorative-Coin-1983-CHF-5-obverse.png|mini|[[Liste der Schweizer Gedenkfünfliber|Gedenkfünfliber]] der [[Schweizerische Nationalbank|Schweizerischen Nationalbank]] zu Ansermets 100. Geburtstag 1983]]
Ernest Ansermet probierte in seiner Jugend verschiedene Instrumente aus: Klarinette, Geige und Blasinstrumente, die er als Fanfaren benutzte. Später schrieb er Märsche für die Schweizer Armee, die er aber nicht für wichtig hielt. Er schloss 1903 ein Studium der Mathematik ab und war bis 1906 Mathematiklehrer in [[Lausanne]], studierte aber auch Komposition, u.&nbsp;a. bei [[André Gedalge]] in Paris, später bei [[Ernest Bloch]] in [[Genf]]. Sein Interesse galt bald mehr dem Dirigieren, dessen Handwerk er in [[München]] bei [[Felix Mottl]] erlernte und in [[Berlin]] bei [[Arthur Nikisch]] und [[Felix Weingartner]] verfeinerte.


1912 wurde er Konzertleiter des Kursaals im waadtländischen [[Montreux]]. Durch seinen Freund Charles Ramuz lernte er [[Igor Strawinski]] kennen, der damals bei Montreux in Clarens lebte. Hier erlebte er die Entstehung einiger Kompositionen hautnah. Es entwickelte sich eine tiefgreifende Künstlerfreundschaft.
Ansermet probierte in seiner Jugend Instrumente aus: Klarinette, Geige und Blasinstrumente, die er als Fanfaren benutzte. Später schrieb er Märsche für die Schweizer Armee, die er aber nicht für wichtig hielt. Er schloss 1903 ein Studium der Mathematik ab und war bis 1906 Mathematiklehrer in [[Lausanne]], studierte aber auch Komposition, u.&nbsp;a. bei André Gedalge in Paris, später bei [[Ernest Bloch]] in [[Genf]]. Sein Interesse galt bald mehr dem Dirigieren, dessen Handwerk er in [[München]] bei [[Felix Mottl]] und in [[Berlin]] bei [[Arthur Nikisch]] und [[Felix Weingartner]] verfeinerte.


1915 begegnete er in Genf [[Sergei Pawlowitsch Djagilew]], der ihn zum Dirigenten der «[[Ballets Russes]]» machte. Bei einer Gala für das Rote Kreuz dirigierte Ansermet zum ersten Mal ''Soleil de nuit'' von [[Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow|Nikolai Rimski-Korsakow]] in der Choreographie von [[Léonide Massine]]. 1916 begleitete er das Ballett auf dessen Tournee durch die USA.<ref>[http://www.russianballethistory.com/ ''The History of Diaghilev’s Ballets Russes 1909–1929.''] In: ''Russian Ballet History''.</ref> 1917 brachte er in Zusammenarbeit mit [[Pablo Picasso]], [[Jean Cocteau]] und Léonide Massine das Ballett ''[[Parade (Ballett)|Parade]]'' von [[Erik Satie]] zur Uraufführung. In den folgenden Jahren dirigierte Ansermet zahlreiche Erstaufführungen der Werke von Strawinski, so im Jahr 1918 ''[[Histoire du Soldat|L’Histoire du Soldat]]'', 1920 ''The Song of the Nightingale'' und ''[[Pulcinella (Strawinsky)|Pulcinella]]'', 1922 ''Bajka'' und 1923 ''Svadebka'' sowie ''Capriccio for piano and orchestra'' (1929) und ''Mass'' (1948). Neben den Kompositionen von Strawinski brachte er auch Erstaufführungen vieler anderer Komponisten auf die Bühne, so [[Eric Satie]]s ''Parade'' (1917), ''[[Der Dreispitz (Ballett)|Le tricorne]]'' von [[Manuel de Falla]] (1919) oder [[Sergei Prokofiev]]s ''Chout'' (1923).
1912 wurde er Konzertleiter des Kursaals [[Montreux]]. Durch seinen Freund Charles Ramuz lernte er [[Igor Strawinski]] kennen, der damals bei Montreux in Clarens lebte. Hier erlebte er die Entstehung einiger Kompositionen hautnah. Es entwickelte sich eine tiefgreifende Künstlerfreundschaft


Das alles war ihm möglich, weil er drei Orchester zur gleichen Zeit leitete: das der «Ballets Russes», das Orchestre Romand (O.R.), das er 1918 gegründet hatte, sowie das Argentinische National-Orchester (Orquesta Sinfónica Argentina) in Buenos Aires, das er 1922 in Zusammenarbeit mit der dortigen Wagner-Gesellschaft gegründet hatte. Zehn Jahre lang verbrachte er die Wintermonate in Genf und die Sommer in Argentinien.<ref>Pablo Bardín: [http://www.historiasinfonica.blogspot.de/ ''La Sinfónica Nacional cumple medio siglo.''] In: ''Historia sinfónica'' (spanisch).</ref>
1915 begegnete er in Genf [[Sergei Pawlowitsch Djagilew]], der ihn zum Dirigenten seines Ensembles „[[Ballets Russes]]“ machte. Er dirigierte zum ersten Mal bei einer Gala für das Rote Kreuz „Soleil de nuit“ von [[Nikolai Rimsky-Korsakov]] in der Choreographie von Leonid Massine. 1916 begleitete er das Ballett auf dessen Tournee durch die USA <ref>[http://www.russianballethistory.com/ Diaghilev's Ballets Russes]</ref> Ansermet dirigierte viele Erstaufführungen der Werke von Strawinski: 1918 "L'Histoire du Soldat", 1920 "The Song of the Nightingale" und "Pulcinella", 1922 "Bajka" und 1923 "Svadebka" sowie "Capriccio for piano and orchestra" (1929) und "Mass" (1948).
Neben den Kompositionen von Strawinski brachte er auch Erstaufführungen vieler anderer Komponisten auf die Bühne: "Parade" von [[Eric Satie]] (1917), "Le tricorne" von [[Manuel de Falla]] (1919) oder "Chout" von [[Sergei Prokofiev]] (1923).


1923, 1924, 1929, 1932, 1936 und 1938 wirkte er als Juror, 1923, 1929, 1932, 1936 und 1946 als Dirigent bei den Weltmusiktagen der [[Internationale Gesellschaft für Neue Musik|Internationalen Gesellschaft für Neue Musik]] (ISCM World Music Days).<ref>[https://iscm.org/wnmd-world-new-music-days/previous-festivals/ Programme der ISCM World Music Days von 1922 bis heute]</ref><ref>Anton Haefeli: ''Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik – Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart.'' Zürich 1982, S.&nbsp;480ff</ref>
Das alles war ihm möglich, weil er drei Orchester zur gleichen Zeit leitete: das der „Ballets Russes“, das „Orchestre Romand“ (O.R.), das er 1918 gegründet hatte, sowie das Argentinische National Orchestra ("Orquesta Sinfónica Argentina") in Buenos Aires, das er 1922 in Zusammenarbeit mit der dortigen Wagner-Gesellschaft gegründet hatte. Zehn Jahre lang verbrachte er die Wintermonate in Genf und die Sommer in Argentinien.<ref>[http://www.historiasinfonica.blogspot.de/ La Sinfónica National] Geschichte in spanisch</ref>


Mit Unterstützung des Schweizer Radios gründete Ansermet 1940 das [[Orchestre de la Suisse Romande]]<ref>[http://www.notrehistoire.ch/group/orchestre-de-la-suisse-romande/ Notre Histoire: L'Orchestre de la Suisse romande]</ref>, das eng mit seinem Namen verbunden ist und das er bis 1967 leitete. Auch hier unterstützte er besonders die Werke der Schweizer Komponisten [[Arthur Honegger]] und [[Frank Martin]] durch Erstaufführungen. Von Honegger: "Horace victorieux" (1921), "Chant de joie" (1923), "Rugby" (1928) und "Pacific 231" (1923), das ihm gewidmet war. Von Frank Martin: "Symphonie" (1938), "In terra pax" (1945), "Der Sturm" (1956), "Le mystère de la Nativité" (1959), "Monsieur de Pourceaugnac" (1963) und "Les Quatre Éléments", das ihm gewidmet war. Weitere wichtige Premieren waren [[Benjamin Britten]]s "The Rape of Lucretia" (1946) und "Cantata misericordium" (1963).
Zusammen mit [[Walter Schulthess]] gründete Ansermet 1938 das [[Lucerne Festival]]<ref>{{HLS|34980|Walter Schulthess|Autor=Antonio Baldassarre|Datum=2010-07-09|Abruf=2020-10-13}}</ref> und mit Unterstützung des Schweizer Radios gründete er 1940 das [[Orchestre de la Suisse romande]] (OSR)<ref>[http://www.notrehistoire.ch/group/orchestre-de-la-suisse-romande ''L’Orchestre de la Suisse romande.''] In: ''notrehistoire.ch''.</ref>, das eng mit seinem Namen verbunden ist und das er bis 1967 leitete. Auch hier unterstützte er besonders die Werke der Schweizer Komponisten [[Arthur Honegger]] und [[Frank Martin (Komponist)|Frank Martin]] durch Erstaufführungen. Zu den von ihm erstmals aufgeführten Werken gehören Honeggers ''Horace victorieux'' (1921), ''Chant de joie'' (1923), ''Rugby'' (1928) und ''Pacific 231'' (1923), das ihm gewidmet war, sowie Frank Martins ''Symphonie'' (1938), ''[[In terra pax (Martin)|In terra pax]]'' (1945), ''Der Sturm'' (1956), ''Le mystère de la Nativité'' (1959), ''Monsieur de Pourceaugnac'' (1963) und ''Les Quatre Éléments'', welches wiederum ihm gewidmet war. Weitere wichtige Premieren waren [[Benjamin Britten]]s ''The Rape of Lucretia'' (1946) und ''Cantata misericordium'' (1963).


Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Ansermet und sein Orchester international bekannt durch einen langfristigen Vertrag mit [[Decca Records]]. Die erste kommerzielle Stereo-Aufnahme Europas wurde im Mai 1954 von Ernest Ansermet dirigiert. Es folgten im selben Jahr Aufzeichnungen von Auszügen der Ballettmusiken zu ''[[Dornröschen (Ballett)|Dornröschen]]'', ''[[Der Nussknacker]]'' und ''[[Schwanensee]]'' von [[Pjotr Iljitsch Tschaikowski]], die vom [[Royal Opera House|Covent-Garden-Orchester]] in London eingespielt wurden. Zu den ersten Stereo-Aufnahmen gehörte auch die vollständige Musik des Balletts ''Der Nussknacker'', die auf Stereo-Langspielschallplatten von Decca und später von [[Telefunken]] produziert wurde. Ansermet hat früh begriffen, wie wichtig die Aufnahmetätigkeiten für das Radio und auf Schallplatte sind. Die Übertragung der Radiokonzerte, der sogenannten «Mercredis symphoniques», waren manchmal die Proben vor Plattenaufnahmen. Decca hatte in der [[Victoria Hall]] in Genf ein Tonstudio eingerichtet; alle Aufnahmen mit dem OSR sind dort entstanden. Auf dem Markt waren allein von Decca 314&nbsp;Werke mit Ansermet zu finden. In den Archiven des «Radio de la Suisse Romande» befinden sich 672&nbsp;Bänder mit Konzerten von Ernest Ansermet.<ref>Brenno Bolla: {{Webarchiv |url=http://www.aaa-switzerland.ch/files/ansermet.pdf |text=''Ernest Ansermet (1883–1969). Der Dirigent und seine Aufnahmen.'' |wayback=20141021125752 |archiv-bot=}} In: ''Analogue Audio Association Switzerland'' (AAA), Bulletin vom Frühling 2006 (PDF; 413&nbsp;kB).</ref> Häufig ging Ansermet mit seinem Orchester in europäischen Metropolen wie London und [[Paris]], aber auch in den [[Vereinigte Staaten|USA]] und der [[Sowjetunion|UdSSR]] auf Tournee.
1917 brachte er in Zusammenarbeit mit [[Pablo Picasso]], [[Jean Cocteau]] und [[Léonide Massine]] das [[Ballett]] ''[[Parade (Ballett)|Parade]]'' von [[Erik Satie]] zur Uraufführung.
[[Datei:Ernest Ansermet (1965) by Erling Mandelmann.jpg|miniatur|Ernest Ansermet, 1965]]


Ernest Ansermet war beteiligt an der Entstehung der [[Lucerne Festival|Luzerner Festspiele]]. Im Jahre 1938 suchte er für die Sommermonate ein Betätigungsfeld für seine Musiker, da er sie nicht ganzjährig beschäftigen konnte. Da er [[Luzern]] als das Montreux der deutschen Schweiz betrachtete und auch diese Stadt einen Kursaal besitzt, erkannte Ansermet hier einen möglichen Auftrittsort für sein Orchester und legte seine Pläne dem Stadtpräsidenten Jakob Zimmerli vor. Er fand bei ihm ein offenes Ohr. Unter der Leitung von Ernest Ansermet und Gilbert Gravina spielten bereits im Juli 1938 Mitglieder des «Orchestre de la Suisse Romande» und des Kursaal-Orchesters (das sich aus Musikern der Allgemeinen Musikgesellschaft Luzern (AML), heute [[Luzerner Sinfonieorchester]], zusammensetzte) in vier Solistenkonzerten im akustisch vorzüglichen Theatersaal des Casino-Kursaals. Ansermet leitete das Eröffnungskonzert mit Werken von [[Joseph Haydn]], [[Robert Schumann]], [[Maurice Ravel]], [[César Franck]] und Igor Strawinski. Als Gründungsdatum der Festspiele wird das von [[Arturo Toscanini]] dirigierte Galakonzert am 25.&nbsp;August 1938 im [[Tribschen]]-Park angegeben, das aber eigentlich eine Hommage an [[Richard Wagner]] war.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.lucernefestival.ch/de/ueber_uns/Toscanini_dirigiert_das_Concert_de_Gala |text=''Toscanini dirigiert das «Concert de Gala».'' |wayback=20100507120951 |archiv-bot=}} In: Website des [[Lucerne Festival]] (zum Galakonzert vom 25.&nbsp;August 1938 im Tribschen-Park).</ref> Dank der Tatsache, dass sowohl die Salzburger als auch die Bayreuther Festspiele in jener Zeit, politisch bedingt, durch große Musiker boykottiert wurden, konnten sich die Festspiele in Luzern mit Dirigenten wie Arturo Toscanini, [[Bruno Walter]], [[Fritz Busch]] und anderen rasch etablieren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Ansermet und sein Orchester international bekannt durch einen langfristigen Vertrag mit [[Decca Records]]. Die erste kommerzielle Stereo-Aufnahme Europas wurde im Mai 1954 von Ernest Ansermet dirigiert. Es folgten im selben Jahr Aufzeichnungen von Auszügen der Ballettmusiken zu ''Dornröschen'', ''[[Der Nussknacker]]'' und ''Schwanensee'' von [[Pjotr Iljitsch Tschaikowski|Tschaikowsky]], die vom Covent Garden Orchester in [[London]] eingespielt wurden. Zu den ersten Stereo-Aufnahmen gehörte auch die vollständige Musik ''Der Nussknacker'', die auf Stereo-Langspielschallplatten von Decca und später Telefunken produziert wurde. Ansermet hat früh begriffen, wie wichtig die Aufnahmetätigkeiten für das Radio und auf Schallplatte sind. Die Übertragung der Radiokonzerte (Mercredis symphoniques) waren manchmal die Probe vor Plattenaufnahmen. Decca hatte in der «Victoria Hall» in Genf ein Tonstudio eingerichtet; alle Aufnahmen mit dem OSR sind dort entstanden. Auf dem Markt waren allein von Decca 314 Werke mit Ansermet zu finden. In den Archiven des «Radio de la Suisse Romande» befinden sich 672 Bänder mit Konzerten von Ernest Ansermet. <ref>[http://www.aaa-switzerland.ch/files/ansermet.pdf AAA-Bulletin Ausgabe Frühling 2006] (PDF-Datei; 413&nbsp;kB)</ref>
Ansermet ging mit seinem Orchester häufig in europäischen Großstädten wie London und [[Paris]], aber auch in den [[Vereinigte Staaten|USA]] und der [[Sowjetunion|UdSSR]] auf Tournee.


In seinem Buch ''Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewußtsein'', auf Französisch erschienen 1961 ''(Les fondements de la musique dans la conscience humaine)'',<ref>Heinz Josef Herbort: [http://www.zeit.de/1965/49/ein-grosser-dirigent-und-ein-grosser-brocken-theorie ''Ein großer Dirigent und ein großer Brocken Theorie.''] In: ''[[Zeit Online]].'' 3. Dezember 1965 (Rezension)</ref> offenbart Ansermet an mehreren Stellen eine [[Antisemitismus (bis 1945)|antisemitische]] Haltung. Beispielsweise schreibt er:
Ernest Ansermet war beteiligt an der Entstehung der [[Lucerne Festival|Luzerner Festspiele]]. Im Jahre 1938 sucht Ansermet für die Sommermonate ein Betätigungsfeld
:{{" |Was wir soeben dargelegt haben, hilft uns zu begreifen, daß das geschichtliche Werden der abendländischen Musik ''ohne die Juden'' möglich gewesen wäre, [...] man denke einmal Salomon Rossi [...], Meyerbeer, Mendelssohn, Offenbach, Mahler weg [...] und man wird finden, daß sich nichts Entscheidendes geändert hätte. |Ernest Ansermet |''Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewußtsein'', München 1965, S. 413, zit. nach Annkatrin Dahm, Der Topos der Juden. Studien zur Geschichte des Antisemitismus im deutschsprachigen Musikschrifttum, Göttingen 2007, S. 356}}
für seine Musiker, da er sie nicht ganzjährig beschäftigen kann. Da er Luzern als das Montreux der deutschen Schweiz betrachtet und auch diese Stadt einen Kursaal hat, erkennt Ansermet hier einen möglichen Auftrittsort für sein Orchester und legt seine Pläne dem Stadtpräsidenten Jakob Zimmerli vor. Er findet bei ihm ein
offenes Ohr. Unter der Leitung von Ernest Ansermet und Gilbert Gravina spielen bereits im Juli 1938 Mitglieder des «Orchestre de la Suisse Romande» und des Kursaal-Orchesters (das sich aus Musikern des AML-Orchesters zusammensetzte) in vier Solistenkonzerten im akustisch vorzüglichen Theatersaal des Casino Kursaals.
Ansermet leitete das Eröffnungskonzert mit Werken von Haydn, Schumann, Ravel, Franck und Stravinsky. Als Gründungsdatum der Festspiele wird die von Toscanini dirigierte «Concert de Gala» am 25. August 1938 im Tribschen-Park angegeben, das aber eigentlich eine hommage an [[Richard Wagner]] war. <ref>[http://www.lucernefestival.ch/de/ueber_uns/Toscanini_dirigiert_das_Concert_de_Gala/ Toscanini dirigiert das «Concert de Gala» am 25. August 1938 im Tribschen-Park]</ref> Dank der Tatsache, dass sowohl die Salzburger als auch Bayreuther Festspiele, politisch bedingt, durch grosse Musiker boykottiert wurden, konnten die Festspiele in Luzern mit Dirigenten wie [[Arturo Toscanini]], [[Bruno Walter]], [[Fritz Busch]] und anderen sich rasch etablieren.


In der ''Revue Romande'' (im Juli 1922 Umbenennung in die fast ausschliesslich antisemitisch orientierte ''[[Nouvelle Revue Romande]]'', eingestellt 1945<ref>{{Internetquelle |autor=Annick Jermini, Derya Uregen |url=https://revuesculturelles.ch/fiches/revue/5/ |titel=Nouvelle Revue romande |titelerg=François Vallotton, Claude Hauser, Alain Clavien (Hrsg.) |werk=Revues Culturelles Suisses |hrsg=Groupe de recherche en histoire intellectuelle contemporaine (Université de Fribourg/Université de Lausanne) |abruf=2024-02-15}}</ref>), Ausgabe Nr. 10 vom 15. Oktober 1919, brachte Ernest Ansermet im Artikel «Sur un orchestre nègre» Ansichten zum Ausdruck, die sich gegen Juden, [[Schwarze]] und einzelne, seiner Ansicht nach korrumpierte Vertreter der angelsächsischen Kultur richteten. Damit verknüpfte er seine Einstellung zum [[Jazz]] mit seiner Vorstellung, wonach russische und deutsche Juden für Schwarze «[[Negermusik]]»<ref>{{Literatur |Autor=Philippe Gumplowicz |Hrsg=Sylvie Anne Goldberg |Titel=De l’arrivée du jazz en France : une musique « judéo-nègre » ? |Sammelwerk=Histoire juive de la France |Verlag=Éditions Albin Michel/Centre national du livre/Fondation du Judaïsme Français |Ort=Paris |Datum=2023 |ISBN=978-2-226-44803-3 |Seiten=975 ff.}}</ref> komponieren würden. Diese rassistische Sichtweise erschien noch 1938 in der Zeitschrift ''[[Jazz Hot]]''. Andererseits lud Ansermet, der selbst während des Krieges noch in Deutschland konzertierte, 1943 den von den Nationalsozialisten verfolgten jüdischen Violinisten und Komponisten [[Carl Flesch]] in die Schweiz ein, wo dieser dann bis zu seinem Tod im November 1944 am Konservatorium in Luzern unterrichtete.
== Kritik ==

In seinem Buch ''Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewusstsein'', erschienen 1961, offenbart Ansermet an mehreren Stellen eine [[Antisemitismus|antisemitische]] Haltung. Beispielsweise schreibt er:

{{Zitat|Und dieses Problem ist im Grunde das jüdische Problem schlechthin; denn es kann keine abendländische Gemeinschaft geben, ehe sich die Juden des Okzidents zusammen mit den Christen aller Bekenntnisse und den "Atheisten" eine allen gemeinsame Anschauung von der Welt und vom Menschen zu eigen machen können. Dieses Problem können wir jedoch erst in unserern Schlussfolgerungen noch einmal berühren. Wenngleich sich die fundamental jüdische Seinsweise bisher nicht als geschichtsbildend erwiesen und eher am Rande der Geschichte schöpferisch geworden ist [...]|Ernest Ansermet|''Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewusstsein''}}

Wirklich antisemitisch kann Ansermet aber nicht gewesen sein, denn 1943 lädt er den von den Nationalsozialisten verfolgten jüdischen Komponisten, [[Carl Flesch]], in die Schweiz ein, wo dieser dann bis zu seinem Tod im November 1944 am Konservatorium in Luzern unterrichtete.

Im gleichen Buch sagt er über Bruckner:

{{Zitat|"... findet die Symphonie in Bruckner und Mahler ihre Fortsetzer. Bruckner ist Österreicher, glühender [[Katholik]] und gänzlich erfüllt vom Wagnerschen "Lyrismus"; seine Symphonien sind österreichisch-bäuerliche Seelenepik, katholisch und mystisch (daher ihr Mangel an formalem Zusammenhalt), so daß sie durch den großen schöpferischen Strom abendländischer Musik ein wenig an den Rand gedrängt würden, wenn nicht die Brucknersche Glaubenskraft und Ursprünglichkeit seinen Werken universellen Wert verliehen hätten." [...]|Ernest Ansermet|''Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewusstsein'' München 1965, S. 421}}


== Diskografie ==
== Diskografie ==
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* ''Dornröschen'', Ballettmusik von Peter Tschaikowsky, op. 66, Stereo-Aufnahme 1959, Orchestre de la Suisse Romande, Genf
* ''Dornröschen'', Ballettmusik von Peter Tschaikowsky, op. 66, Stereo-Aufnahme 1959, Orchestre de la Suisse Romande, Genf
* ''Nussknacker'', Ballettmusik von Peter Tschaikowsky, op. 71, Stereo-Aufnahme 1959/1960, Orchestre de la Suisse Romande, Genf
* ''Nussknacker'', Ballettmusik von Peter Tschaikowsky, op. 71, Stereo-Aufnahme 1959/1960, Orchestre de la Suisse Romande, Genf
* [http://www.berliner-philharmoniker.de/konzerte/kalender/details/6977 Ansermet dirigiert die Berliner Philhalmoniker 1950/51]
* [http://www.scona.ch/ansermet/discografia.php Discografia Ernest Ansermet] – geordnet nach Komponisten


== Buchveröffentlichungen ==
== Buchveröffentlichungen ==
* ''Gespräche über Musik'', 1973 (Die Gespräche wurden im Winter 1961/62 mit J.-Claude Piguet für Radio Genf geführt)
* ''Gespräche über Musik'', 1973 (die Gespräche wurden im Winter 1961/62 mit J.-Claude Piguet für Radio Genf geführt)
* ''Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewusstsein'', München 1961
* ''Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewußtsein'', München 1961


== Literatur ==
== Literatur ==
* Annkatrin Dahm: ''Der Topos der Juden: Studien zur Geschichte des Antisemitismus im deutschsprachigen Musikschrifttum''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-56996-2, S. 356&nbsp;f. [http://books.google.de/books?id=5sJB52aIZwcC&pg=PA357&lpg=PA357&dq=Ansermet+antisemitismus&source=bl&ots=Q_nIIfDLWs&sig=eL4zvsvZHE3UeHAgjiucpr3_Plw&hl=de&sa=X&ei=5DQZUNQtxuC1BrLPgdgM&ved=0CE4Q6AEwAQ#v=onepage&q=Ansermet%20antisemitismus&f=false (teilweise online)]
* Jean Mohr, Bernhard Gavoty, Arnold H. Eichmann: ''Ernest Ansermet''. Kister 1961
* [[Jean Mohr]], Bernhard Gavoty, Arnold H. Eichmann: ''Ernest Ansermet''. Kister 1961
* {{Theaterlexikon|Ernest Ansermet|1|53|Autor=Jacques Tchamkerten|Sprache=f}}
* Jacques Tchamkerten: [http://tls.theaterwissenschaft.ch/wiki/Ernest_Ansermet ''Ernest Ansermet'']. In: [[Andreas Kotte]] (Hrsg.): ''[[Theaterlexikon der Schweiz]].'' Band 1, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 53 (französisch)
* Annkatrin Dahm: ''Der Topos der Juden: Studien zur Geschichte des Antisemitismus im deutschsprachigen Musikschrifttum''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-56996-2, S. 356 f. [http://books.google.de/books?id=5sJB52aIZwcC&pg=PA357&lpg=PA357&dq=Ansermet+antisemitismus&source=bl&ots=Q_nIIfDLWs&sig=eL4zvsvZHE3UeHAgjiucpr3_Plw&hl=de&sa=X&ei=5DQZUNQtxuC1BrLPgdgM&ved=0CE4Q6AEwAQ#v=onepage&q=Ansermet%20antisemitismus&f=false (Teilweise online)]
* [http://www.weltbild.de/3/16408969-1/buch/auf-der-suche-nach-dem-logos-der-musik.html Klappentext zu: Max Gottschlich ''Auf der Suche nach dem Logos der Musik'']


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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== Weblinks ==
== Weblinks ==
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* [http://archive.org/search.php?query=ernest%20Ansermet Audiofiles mit Ansermet] im Internet Archive - online
* [http://archive.org/search.php?query=ernest%20Ansermet Audiofiles mit Ansermet] im Internet Archive online
* [http://www.koelnklavier.de/texte/interpreten/ansermet.html Ernest Ansermet Sendereihe "Historische Aufnahmen"] im Deutschlandfunk, Köln
* [https://www.koelnklavier.de/texte/interpreten/ansermet.html Ernest Ansermet Sendereihe «Historische Aufnahmen»] im [[Deutschlandfunk]], Köln
* {{HLS|20533|Ernest Ansermet|Autor=Jean-Jacques Langendorf|Datum=2014-03-27}}


{{Navigationsleiste Musikdirektoren des Orchestre de la Suisse Romande}}
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[[Kategorie:Person (Kanton Waadt)]]
[[Kategorie:Schweizer]]
[[Kategorie:Schweizer]]

Aktuelle Version vom 16. Oktober 2024, 20:47 Uhr

Ernest Ansermet (1933)

Ernest Ansermet (* 11. November 1883 in Vevey; † 20. Februar 1969 in Genf) war ein Schweizer Dirigent.

Ernest Ansermet, 1965
Gedenkfünfliber der Schweizerischen Nationalbank zu Ansermets 100. Geburtstag 1983

Ernest Ansermet probierte in seiner Jugend verschiedene Instrumente aus: Klarinette, Geige und Blasinstrumente, die er als Fanfaren benutzte. Später schrieb er Märsche für die Schweizer Armee, die er aber nicht für wichtig hielt. Er schloss 1903 ein Studium der Mathematik ab und war bis 1906 Mathematiklehrer in Lausanne, studierte aber auch Komposition, u. a. bei André Gedalge in Paris, später bei Ernest Bloch in Genf. Sein Interesse galt bald mehr dem Dirigieren, dessen Handwerk er in München bei Felix Mottl erlernte und in Berlin bei Arthur Nikisch und Felix Weingartner verfeinerte.

1912 wurde er Konzertleiter des Kursaals im waadtländischen Montreux. Durch seinen Freund Charles Ramuz lernte er Igor Strawinski kennen, der damals bei Montreux in Clarens lebte. Hier erlebte er die Entstehung einiger Kompositionen hautnah. Es entwickelte sich eine tiefgreifende Künstlerfreundschaft.

1915 begegnete er in Genf Sergei Pawlowitsch Djagilew, der ihn zum Dirigenten der «Ballets Russes» machte. Bei einer Gala für das Rote Kreuz dirigierte Ansermet zum ersten Mal Soleil de nuit von Nikolai Rimski-Korsakow in der Choreographie von Léonide Massine. 1916 begleitete er das Ballett auf dessen Tournee durch die USA.[1] 1917 brachte er in Zusammenarbeit mit Pablo Picasso, Jean Cocteau und Léonide Massine das Ballett Parade von Erik Satie zur Uraufführung. In den folgenden Jahren dirigierte Ansermet zahlreiche Erstaufführungen der Werke von Strawinski, so im Jahr 1918 L’Histoire du Soldat, 1920 The Song of the Nightingale und Pulcinella, 1922 Bajka und 1923 Svadebka sowie Capriccio for piano and orchestra (1929) und Mass (1948). Neben den Kompositionen von Strawinski brachte er auch Erstaufführungen vieler anderer Komponisten auf die Bühne, so Eric Saties Parade (1917), Le tricorne von Manuel de Falla (1919) oder Sergei Prokofievs Chout (1923).

Das alles war ihm möglich, weil er drei Orchester zur gleichen Zeit leitete: das der «Ballets Russes», das Orchestre Romand (O.R.), das er 1918 gegründet hatte, sowie das Argentinische National-Orchester (Orquesta Sinfónica Argentina) in Buenos Aires, das er 1922 in Zusammenarbeit mit der dortigen Wagner-Gesellschaft gegründet hatte. Zehn Jahre lang verbrachte er die Wintermonate in Genf und die Sommer in Argentinien.[2]

1923, 1924, 1929, 1932, 1936 und 1938 wirkte er als Juror, 1923, 1929, 1932, 1936 und 1946 als Dirigent bei den Weltmusiktagen der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (ISCM World Music Days).[3][4]

Zusammen mit Walter Schulthess gründete Ansermet 1938 das Lucerne Festival[5] und mit Unterstützung des Schweizer Radios gründete er 1940 das Orchestre de la Suisse romande (OSR)[6], das eng mit seinem Namen verbunden ist und das er bis 1967 leitete. Auch hier unterstützte er besonders die Werke der Schweizer Komponisten Arthur Honegger und Frank Martin durch Erstaufführungen. Zu den von ihm erstmals aufgeführten Werken gehören Honeggers Horace victorieux (1921), Chant de joie (1923), Rugby (1928) und Pacific 231 (1923), das ihm gewidmet war, sowie Frank Martins Symphonie (1938), In terra pax (1945), Der Sturm (1956), Le mystère de la Nativité (1959), Monsieur de Pourceaugnac (1963) und Les Quatre Éléments, welches wiederum ihm gewidmet war. Weitere wichtige Premieren waren Benjamin Brittens The Rape of Lucretia (1946) und Cantata misericordium (1963).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Ansermet und sein Orchester international bekannt durch einen langfristigen Vertrag mit Decca Records. Die erste kommerzielle Stereo-Aufnahme Europas wurde im Mai 1954 von Ernest Ansermet dirigiert. Es folgten im selben Jahr Aufzeichnungen von Auszügen der Ballettmusiken zu Dornröschen, Der Nussknacker und Schwanensee von Pjotr Iljitsch Tschaikowski, die vom Covent-Garden-Orchester in London eingespielt wurden. Zu den ersten Stereo-Aufnahmen gehörte auch die vollständige Musik des Balletts Der Nussknacker, die auf Stereo-Langspielschallplatten von Decca und später von Telefunken produziert wurde. Ansermet hat früh begriffen, wie wichtig die Aufnahmetätigkeiten für das Radio und auf Schallplatte sind. Die Übertragung der Radiokonzerte, der sogenannten «Mercredis symphoniques», waren manchmal die Proben vor Plattenaufnahmen. Decca hatte in der Victoria Hall in Genf ein Tonstudio eingerichtet; alle Aufnahmen mit dem OSR sind dort entstanden. Auf dem Markt waren allein von Decca 314 Werke mit Ansermet zu finden. In den Archiven des «Radio de la Suisse Romande» befinden sich 672 Bänder mit Konzerten von Ernest Ansermet.[7] Häufig ging Ansermet mit seinem Orchester in europäischen Metropolen wie London und Paris, aber auch in den USA und der UdSSR auf Tournee.

Ernest Ansermet war beteiligt an der Entstehung der Luzerner Festspiele. Im Jahre 1938 suchte er für die Sommermonate ein Betätigungsfeld für seine Musiker, da er sie nicht ganzjährig beschäftigen konnte. Da er Luzern als das Montreux der deutschen Schweiz betrachtete und auch diese Stadt einen Kursaal besitzt, erkannte Ansermet hier einen möglichen Auftrittsort für sein Orchester und legte seine Pläne dem Stadtpräsidenten Jakob Zimmerli vor. Er fand bei ihm ein offenes Ohr. Unter der Leitung von Ernest Ansermet und Gilbert Gravina spielten bereits im Juli 1938 Mitglieder des «Orchestre de la Suisse Romande» und des Kursaal-Orchesters (das sich aus Musikern der Allgemeinen Musikgesellschaft Luzern (AML), heute Luzerner Sinfonieorchester, zusammensetzte) in vier Solistenkonzerten im akustisch vorzüglichen Theatersaal des Casino-Kursaals. Ansermet leitete das Eröffnungskonzert mit Werken von Joseph Haydn, Robert Schumann, Maurice Ravel, César Franck und Igor Strawinski. Als Gründungsdatum der Festspiele wird das von Arturo Toscanini dirigierte Galakonzert am 25. August 1938 im Tribschen-Park angegeben, das aber eigentlich eine Hommage an Richard Wagner war.[8] Dank der Tatsache, dass sowohl die Salzburger als auch die Bayreuther Festspiele in jener Zeit, politisch bedingt, durch große Musiker boykottiert wurden, konnten sich die Festspiele in Luzern mit Dirigenten wie Arturo Toscanini, Bruno Walter, Fritz Busch und anderen rasch etablieren.

In seinem Buch Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewußtsein, auf Französisch erschienen 1961 (Les fondements de la musique dans la conscience humaine),[9] offenbart Ansermet an mehreren Stellen eine antisemitische Haltung. Beispielsweise schreibt er:

„Was wir soeben dargelegt haben, hilft uns zu begreifen, daß das geschichtliche Werden der abendländischen Musik ohne die Juden möglich gewesen wäre, [...] man denke einmal Salomon Rossi [...], Meyerbeer, Mendelssohn, Offenbach, Mahler weg [...] und man wird finden, daß sich nichts Entscheidendes geändert hätte.“ (Ernest Ansermet : Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewußtsein, München 1965, S. 413, zit. nach Annkatrin Dahm, Der Topos der Juden. Studien zur Geschichte des Antisemitismus im deutschsprachigen Musikschrifttum, Göttingen 2007, S. 356)

In der Revue Romande (im Juli 1922 Umbenennung in die fast ausschliesslich antisemitisch orientierte Nouvelle Revue Romande, eingestellt 1945[10]), Ausgabe Nr. 10 vom 15. Oktober 1919, brachte Ernest Ansermet im Artikel «Sur un orchestre nègre» Ansichten zum Ausdruck, die sich gegen Juden, Schwarze und einzelne, seiner Ansicht nach korrumpierte Vertreter der angelsächsischen Kultur richteten. Damit verknüpfte er seine Einstellung zum Jazz mit seiner Vorstellung, wonach russische und deutsche Juden für Schwarze «Negermusik»[11] komponieren würden. Diese rassistische Sichtweise erschien noch 1938 in der Zeitschrift Jazz Hot. Andererseits lud Ansermet, der selbst während des Krieges noch in Deutschland konzertierte, 1943 den von den Nationalsozialisten verfolgten jüdischen Violinisten und Komponisten Carl Flesch in die Schweiz ein, wo dieser dann bis zu seinem Tod im November 1944 am Konservatorium in Luzern unterrichtete.

  • Schwanensee, Ballettmusik von Peter Tschaikowsky, op. 20, Stereo-Aufnahme 1958/1959, Orchestre de la Suisse Romande, Genf
  • Dornröschen, Ballettmusik von Peter Tschaikowsky, op. 66, Stereo-Aufnahme 1959, Orchestre de la Suisse Romande, Genf
  • Nussknacker, Ballettmusik von Peter Tschaikowsky, op. 71, Stereo-Aufnahme 1959/1960, Orchestre de la Suisse Romande, Genf

Buchveröffentlichungen

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  • Gespräche über Musik, 1973 (die Gespräche wurden im Winter 1961/62 mit J.-Claude Piguet für Radio Genf geführt)
  • Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewußtsein, München 1961

Einzelnachweise

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  1. The History of Diaghilev’s Ballets Russes 1909–1929. In: Russian Ballet History.
  2. Pablo Bardín: La Sinfónica Nacional cumple medio siglo. In: Historia sinfónica (spanisch).
  3. Programme der ISCM World Music Days von 1922 bis heute
  4. Anton Haefeli: Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik – Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart. Zürich 1982, S. 480ff
  5. Antonio Baldassarre: Walter Schulthess. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 9. Juli 2010, abgerufen am 13. Oktober 2020.
  6. L’Orchestre de la Suisse romande. In: notrehistoire.ch.
  7. Brenno Bolla: Ernest Ansermet (1883–1969). Der Dirigent und seine Aufnahmen. (Memento vom 21. Oktober 2014 im Internet Archive) In: Analogue Audio Association Switzerland (AAA), Bulletin vom Frühling 2006 (PDF; 413 kB).
  8. Toscanini dirigiert das «Concert de Gala». (Memento vom 7. Mai 2010 im Internet Archive) In: Website des Lucerne Festival (zum Galakonzert vom 25. August 1938 im Tribschen-Park).
  9. Heinz Josef Herbort: Ein großer Dirigent und ein großer Brocken Theorie. In: Zeit Online. 3. Dezember 1965 (Rezension)
  10. Annick Jermini, Derya Uregen: Nouvelle Revue romande. François Vallotton, Claude Hauser, Alain Clavien (Hrsg.). In: Revues Culturelles Suisses. Groupe de recherche en histoire intellectuelle contemporaine (Université de Fribourg/Université de Lausanne), abgerufen am 15. Februar 2024.
  11. Philippe Gumplowicz: De l’arrivée du jazz en France : une musique « judéo-nègre » ? In: Sylvie Anne Goldberg (Hrsg.): Histoire juive de la France. Éditions Albin Michel/Centre national du livre/Fondation du Judaïsme Français, Paris 2023, ISBN 978-2-226-44803-3, S. 975 ff.
Commons: Ernest Ansermet – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien