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Dred Scott v. Sandford

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Scott v. Sandford

Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten

Entschieden
6. März 1857
Vollständige Fallbezeichnung: Dred Scott v. John F. A. Sandford
Fundstelle: 60 U.S. (19 How.) 393; 15 L. Ed. 691; 1856 U.S. LEXIS 472
Vorgeschichte: Urteil zugunsten des Angeklagten im Bundesbezirksgericht Missouri
Nachgeschichte: Keine
Beschluss
Schwarze, ob sie Sklaven sind oder nicht, können nicht Bürger der Vereinigten Staaten werden. Damit fehlt dem Kläger die Zulässigkeitvoraussetzung für eine Klage. Der Kläger wird auch nach der Reise durch Gebiete, welche die Sklaverei abgeschafft haben, nicht von der Sklaverei befreit, da dies sonst die Eigentumsrechte seines Besitzers verletzen würde. Das Urteil des Bezirksgericht ist aufgehoben und die Klage aufgrund fehlender Zulässigkeit abgewiesen.
Richter
Vorsitzender Richter: Roger B. Taney
Beigeordnete Richter: John McLean, James Moore Wayne, John Catron, Peter Vivian Daniel, Samuel Nelson, Robert C. Grier, Benjamin R. Curtis, John A. Campbell
Positionen
Mehrheit: Taney
Zusammen mit: Wayne, Grier, Daniel, Campbell, Catron
Nebenvotum: Nelson
Minderheiten: Curtis, McLean
Angewandtes Recht
Verfassung der Vereinigten Staaten, 5. Zusatzartikel; Missouri-Kompromiss
Aufgehoben durch
Verfassung der Vereinigten Staaten, 13. und 14. Zusatzartikel

Dred Scott v. Sandford[1], 60 U.S. 393, auch bekannt als der Dred-Scott-Fall oder das Dred-Scott-Urteil, war ein Gerichtsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Das im Jahr 1857 durch Chief Justice Roger Taney verkündete Urteil wird von vielen als eine der Hauptursachen für den Ausbruch des amerikanischen Sezessionskriegs und der nachfolgenden Abschaffung der Sklaverei durch die Verabschiedung des 13., 14. und 15. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten angesehen.

Dred Scott war ein amerikanischer Sklave, der zuerst nach Illinois (ein „freier“ Bundesstaat), dann nach Minnesota (ein „freies“ Territorium) und schließlich über den Sklavenhalterstaat Missouri nach Louisiana (ebenfalls ein Sklavenhalterstaat) gebracht wurde. Als sein ursprünglicher Besitzer starb, beantragte er gerichtlich seine Freiheit. Diese wurde ihm erstinstanzlich von einem Gericht in Missouri zuerkannt, das Urteil aber vom Obersten Gerichtshof des Bundesstaates aufgehoben und an die erste Instanz zurückverwiesen. Gleichzeitig reichte Scott eine Klage bei einem Bundesgericht ein. Dieses Verfahren verlor er zwar nach einer Entscheidung durch eine Jury, er erreichte jedoch die Anerkennung seiner bundestaatlichen Staatsbürgerschaft. Daraufhin legte er beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten Rechtsmittel ein, was schließlich dazu führte, dass der Gerichtshof das Machtverhältnis zwischen Sklaven und Sklavenhaltern grundsätzlich zugunsten der letzteren veränderte.

Der Gerichtshof entschied wie folgt:

  • Schwarze, unabhängig davon ob sie sich in der Sklaverei oder in Freiheit befinden, könnten nie Bürger der Vereinigten Staaten werden. Sie seien "beings of an inferior order" (dt. „Wesen einer geringeren Ordnung“) und fallen weder unter der Bezeichnung "all men" (dt. „alle Menschen“) der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung noch treffen die in der Verfassung verbrieften Grundrechte auf sie zu.
  • Das Verbot der Sklaverei durch den Missouri-Kompromiss ist eine verfassungswidrige Beschlagnahmung privaten Eigentums (eben die Sklaven), da es ohne das durch den 5. Zusatzartikel geforderte ordentliche Gerichtsverfahren zustandegekommen war.
  • Dred Scott war nicht frei, da auf ihn nur das Recht des Bundesstaats Missouri zutraf, nachdem er durch seinen Besitzer dorthin gebracht wurde.

Hintergrund

Dred Scott war ein Schwarzer, der als Sklave von Weißen gehalten wurde. Er wurde um 1833 von Dr. John Emerson gekauft, einem Chirurgen in der amerikanischen Armee. Emerson diente für über zwei Jahre im Fort Armstrong im Bundesstaat Illinois, dessen Verfassung zu dem Zeitpunkt die Sklaverei schon abgeschafft hatte. 1836 wurde er zum Wisconsin-Territorium (heutiger Bundesstaat Minnesota) versetzt, das entsprechend dem Missouri-Kompromiss ebenfalls als „frei“ galt. Während dieser Zeit heiratete Scott Marritt Robinson, was ihm in den sklavenhaltenden Südstaaten verwehrt gewesen wäre.

Im Oktober 1837 wurde Emerson nach St. Louis im Bundesstaat Missouri versetzt. Er ließ aber Scott mit seiner Ehefrau für einige Monate im Wisconsin-Territorium und verlieh sie dort an andere, obwohl der Missouri-Kompromiss in diesem Territorium die Sklavenhaltung verbot. Scotts Ehefrau gebar kurz darauf ihr erstes Kind auf einem Fluss, der auf beiden Seiten von Territorien ohne Sklaverei begrenzt war.

Emerson starb unerwartet im Dezember 1843, als Scotts Familie noch in St. Louis wohnte und durch ihn an andere ausgeliehen war, eine Situation, die sich auch nach Emersons Tod nicht änderte. Drei Jahre später versuchte Scott sich von Emersons Witwe loszukaufen, sie lehnte dies allerdings ab. Im April 1846 reichte Scott Klage auf Entbindung von der Sklaverei ein.

Fallgeschichte

Dred Scott

Geschichte in den Gerichten Missouris

Der erste Fall wurde aufgrund eines technischen Mangels abgewiesen: Scott konnte nicht beweisen, dass er samt seinen Angehörigen wirklich der Familie Emerson gehörte. Ein zweites Verfahren wurde vom Richter für Dezember 1847 angesetzt. Emersons Witwe legte beim Obersten Gerichtshof Missouris Berufung ein, verlor aber im Juni 1848. Ein erneutes Verfahren begann im Januar 1850. In diesem entschied die Jury zugunsten von Scott und seiner Familie. Emerson legte beim Obersten Gerichtshof Berufung ein und übergab anschließend die Verantwortung für den Fall an ihren Bruder, John F. A. Sanford aus dem Bundesstaat New York, der sie an ihrer Stelle vor dem Gericht vertrat. Der Oberste Gerichtshof hob das erstinstanzliche Urteil auf und erklärte, dass Scott weiter als Sklave gelte.

Geschichte in den Bundesgerichten

Scott verklagte Sanford auf $9.000 wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Das Ziel der Klage war weniger der Schadensersatz als die erhoffte Feststellung des Gerichts, dass Scott wirklich frei war. Sanford, der Scott kontrollierte, wäre der Freiheitsberaubung nur dann schuldig gewesen, wenn Scott immer noch als Sklave galt. Dieser Fall konnte auch nur deswegen vor einem Bundesgericht verhandelt werden, weil Scott sich selbst als Bürger Missouris ansah, Sanford aber in New York wohnte. Daraus ergab sich verfassungsgemäß eine Zuständigkeit für die Bundesgerichte, sofern dieser Argumentation Scotts stattgegeben worden wäre. Sanford lehnte diese allerdings ab und beantragte vor Gericht die Abweisung der Klage, da Scott als Schwarzer kein Bürger Missouris wäre und damit auch keine Zuständigkeit der Bundesgerichte gegeben sei. Bundesrichter Robert W. Wells stimmt Sanford aber nicht zu und nahm die Klage an.

Während des Hauptverfahrens gab Sanford zu, bei Scott die „Hand leicht angelegt“ zu haben, behauptete aber auch, dass er als Besitzer des Sklaven durchaus das Recht dazu hatte. Die Jury wurde vom Richter angewiesen, die Tatsachen nach dem Recht Missouris zu beurteilen. Da der Oberste Gerichtshof Missouris bereits festgestellt hatte, dass Scott weiterhin Sklave sei, befand die Jury im Mai 1854 zugunsten Sanfords.

Vor dem Obersten Gerichtshof

Scott legte im Dezember 1854 Berufung beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten ein mit der Begründung, dass Wells bei seiner Juryanweisung fehlerhaft gehandelt hatte. Der Gerichtshof nahm die Berufung an und setzte eine viertägige mündliche Verhandlung für den Februar 1856 fest. Die Vertreter beider Parteien beschäftigten sich mit den Fragen, ob Schwarze als Bürger der Vereinigten Staaten gälten, ob der Kongress in den Bundesterritorien die Sklaverei abschaffen könne und ob der Missouri-Kompromiss verfassungswidrig sei. Das Gericht vertagte die Entscheidung noch einmal für ein weiteres Jahr und setzte eine weitere mündliche Verhandlung für den Dezember 1856 an, in der zwei Fragen geklärt werden sollten:

  1. War das Bundesgericht für den Fall und dessen Entscheidung zuständig? Lag also eine Klagebefugnis vor?
  2. Sollte die Klagebefugnis gegeben sein, war dann das Urteil fehlerhaft?

Urteil

Der Beschluss des Gerichts wurde am 6. März 1857 verkündet. Sechs Richter schlossen sich der Meinung des Vorsitzenden Richters Taney an, Samuel Nelson stimmte dem Ergebnis, aber nicht der Begründung zu. Die Richter Benjamin Curtis und John McLean lehnten den Beschluss insgesamt ab.

Das Gericht stellte zunächst fest, ob es für den Fall überhaupt zuständig sei. Der 3. Artikel, 2. Abschnitt, 1. Satz der Verfassung der Vereinigten Staaten bestimmte, dass sich die Bundesgerichtsbarkeit auf Streitigkeiten zwischen Bürgern verschiedener Bundesstaaten erstreckte. Dazu befand das Gericht, dass Scott kein Bürger eines Bundesstaates im Sinne der Verfassung sei, wie dieser Begriff zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Verfassung verstanden wurde, und damit kein Recht habe, in den Bundesgerichten Klage einzureichen. Ob eine Person zum Zwecke der Feststellung einer Klagebefugnis als Bürger eines Bundesstaates gelte, war für das Gericht eine ausschließlich auf Bundesebene zu beantwortende Frage. Damit war es Bundesstaaten also auch verwehrt, nach der Verabschiedung der Verfassung eigenmächtig festzulegen, wer als ihr Bürger galt. Stattdessen konnte diese Feststellung nur durch die Bundesgerichte erfolgen. In Scotts fall war es also völlig unerheblich, ob Missouri Scott als Bürger ansah oder nicht.

Die einzige relevante Frage war danach nur noch, ob Scott vielleicht als Bürger der Vereinigten Staaten vor der Verabschiedung der Verfassung gelten könnte. Auch diese Möglichkeit wurde allerdings vom Gericht abgewiesen, es stellte vielmehr fest, dass alle Schwarzen zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Verfassung als „Wesen einer unteren Ordnung“ betrachtet, die auch „allgemein nicht mit den Fähigkeiten ausgestattet sind, sich mit der weißen Rasse, ob politisch oder gesellschaftlich, zu assoziieren, und auch soweit untergeordnet sind, dass sie keine Rechte hätten, die der weiße Mensch respektieren müsste.“ (engl. "beings of an inferior order, and altogether unfit to associate with the white race, either in social or political relations, and so far inferior that they had no rights which the white man was bound to respect."). Gegen diesen Bescheid argumentierte Curtis in seinem Minderheitsvotum damit, dass viele freie Schwarze Bürger von fünf Bundesstaaten waren und sogar an den Ratifikationsabstimmungen für die Verfassung teilnahmen.

Das Gericht benutzte auch ein auf argumentum ad consequentiam aufgebautes Argument, dass ein Urteil zugunsten Scotts unerträgliche Folgen hätte:

“It would give to persons of the negro race, ...the right to enter every other State whenever they pleased, ...the full liberty of speech in public and in private upon all subjects upon which its own citizens might speak; to hold public meetings upon political affairs, and to keep and carry arms wherever they went”

auf deutsch etwa

„Es würde den Personen der Negerasse das Recht geben ... nach Belieben jeden Bundesstaat zu betreten ... die vollständige Meinungsfreiheit in der Öffentlichkeit und im Privaten in allen Gebieten, zu denen seine eigenen Bürger sprechen könnten ... die Möglickeit, öffentliche Versammlungen zu politischen Themen abzuhalten und Waffen zu besitzen und zu tragen.“

Obwohl das Gericht sich selbst die Zuständigkeit für Scotts Fall abgestritten hatte, erklärte es trotzdem, dass er kein freier Mann sei, obwohl er längere Zeit in Minnesota gelebt hatte. Das Gericht begründete dies damit, dass dem Kongress die Kompetenz fehlte, den Missouri-Kompromiss zu verabschieden. Damit ist dieser nichtig und kann auch nicht von den Gerichten angewandt werden. Diese Interpretation stützte sich sowohl auf der Ansicht, dass der Kongress nur bedingt Gesetze für Bundesterritorien erlassen konnte, als auch auf den 5. Zusatzartikel der Verfassung, welcher indirekt Gesetze verbot, die Sklavenhaltern beim Eintritt in Bundesterritorien ihr Eigentum, also die Sklaven, entzogen. Außerdem entschied das Gericht, ohne dass diese Frage im Fall aufgeworfen wurde, dass die Parlamente in den Territorien auch keine Befugnis hatten, die Sklaverei abzuschaffen.

Dies war erst das zweite Mal, dass der Gerichtshof seit dem Grundsatzurteil in Marbury v. Madison ein Bundesgesetz als verfassungswidrig erklärt hatte. Richter Curtis schrieb in seinem Sondervotum, dass das Gericht nach der Feststellung der nichtvorhandenen Zuständigkeit den Fall einfach hätte abweisen müssen. Entsprechend erklärte er das Urteil zum obiter dictum, also einer richterlichen Äußerung, die nichts mit dem Fall selbst zu tun hat, zu der sich aber gerade die Gelegenheit bot.

Auswirkungen

Das Urteil war der Höhepunkt einer Bewegung, die zu der Zeit das Ziel hatte, die Sklaverei entschieden zu erweitern. Durch die Vergrößerung der Territorien und der daraus resultierenden Aufnahme neuer Bundesstaaten bedeutete das in Folge des Missouri-Kompromisses einen Machtverlust für die Südstaaten, da die Sklaverei in allen neuen Staaten abgeschafft sein würde. Daher versuchten Politiker in der Demokratischen Partei, den Missouri-Kompromiss aufzuheben, womit sie durch die Verabschiedung des Kansas-Nebraska Acts auch erfolgreich waren. Das Gesetz erlaubte jedem neuen Bundesstaat südlich des 40. Breitengrads selbst zu entscheiden, ob die Sklaverei erlaubt oder verboten sein sollte. Mit dem Dred-Scott-Urteil des Gerichtshofs war es nunmehr jedem Territorium und Bundesstaat möglich, eigenständig über die Sklaverei zu entscheiden.

Obwohl Richter Taney glaubte, dass die Sklavenfrage mit dem Beschluss endgültig beantwortet wäre, erreichte er damit doch das diametral entgegengesetzte Ergebnis. Im Norden einte es vielmehr die Gegner der Sklaverei, splitterte die Demokratische Partei landesweit, ermunterte sezessionistische Elemente in den Südstaaten dazu, noch mutigere Forderungen zu stellen, und kräftigte die Republikanische Partei.

Scotts Schicksal

Die Söhne Peter Blows, Scotts erster Besitzer, erkauften seine Freiheit und die seiner Familie am 26. Mai 1857. Scott verstarb knapp ein Jahr später an Tuberkulose am 17. September 1858.

Fußnoten

  1. Obwohl die Fallbezeichnung Scott v. Sandford lautet, war der Nachname des Beklagten tatsächlich Sanford. Der Name wurde falsch geschrieben und nie korrigiert.

Siehe auch