Paul Raabe

deutscher Literaturwissenschaftler und Bibliothekar

Paul Raabe (* 21. Februar 1927 in Oldenburg; † 5. Juli 2013 in Wolfenbüttel) war ein deutscher Literaturwissenschaftler und Bibliothekar, laut FAZ „Deutschlands bekanntester Bibliothekar“.[1]

Paul Raabe wurde als Sohn des Holzbildhauers Wilhelm Raabe (1897–1943) geboren und wuchs in eher bescheidenen Verhältnissen auf.[2] Während des Zweiten Weltkrieges war er von 1943 bis 1945 als Luftwaffenhelfer eingesetzt und leistete Reichsarbeitsdienst. Nach dem Abitur im Jahr 1946 an der Graf-Anton-Günther-Schule in Oldenburg machte er zunächst ein unbezahltes Praktikum an der Oldenburger Landesbibliothek, an das sich die Ausbildung zum Diplom-Bibliothekar an der damaligen Bibliotheksschule[3] in Hamburg anschloss. Es folgte von 1951 bis 1957 ein Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Hamburg. Er promovierte 1957 mit einer Arbeit über die Briefe Friedrich Hölderlins.

Von 1958 bis 1968 war er Leiter der Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs Marbach, bevor er im Jahre 1968 die Leitung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel übernahm. Hier begann er die Bibliothek, die im 17. Jahrhundert als die größte in Europa galt, zu einer modernen, international anerkannten Studien- und Forschungsstätte für das Mittelalter und die frühe Neuzeit auszubauen und zu öffnen. So wurden unter anderem ein Stipendien- und Forschungsprogramm, eine Publikationsabteilung und ein Schülerprogramm eingerichtet. Nach und nach wurden weitere Gebäude in die Bibliothek mit einbezogen, so dass ein regelrechtes Bibliotheksquartier entstand.

Als Bibliothekar in Wolfenbüttel stand Raabe in der Nachfolge von Gottfried Wilhelm Leibniz und Gotthold Ephraim Lessing. 1987 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Jagiellonen-Universität in Krakau und der Technischen Universität Braunschweig.[4] Im Jahre 1991 bekam Raabe die Ehrenbürgerwürde der Stadt Wolfenbüttel verliehen.

Nach seiner Pensionierung als Bibliotheksdirektor in Wolfenbüttel war Raabe von 1992 bis 2000 Direktor der Franckeschen Stiftungen in Halle (Saale). Außerdem war er Mitglied des Stiftungsrates der Klassik Stiftung Weimar und des Kuratoriums Weimar ’99.

Im Februar 1997 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, am 21. Februar 2002 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Halle (Saale) verliehen.[5]

Raabe veröffentlichte zahlreiche Werke zur Buch-, Bibliotheks- und Quellengeschichte, zur Literatur des Expressionismus, der Aufklärung und zur Weimarer Klassik. Seinen wissenschaftlichen Nachlass vermachte er der Landesbibliothek Oldenburg.[6]

Paul Raabe war verheiratet mit Mechthild Raabe, der Schwester des Schriftstellers Hans Egon Holthusen. Der Ehe entstammen vier Kinder, darunter Katharina Raabe, Lektorin für osteuropäische Literatur im Suhrkamp Verlag Berlin, und Christiane Raabe, Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek München. Raabes Schwester Elisabeth Raabe ist Literaturwissenschaftlerin und Verlegerin.

Paul Raabe starb am 5. Juli 2013 in Wolfenbüttel nach einem Schlaganfall.[7]

Auszeichnungen

Bearbeiten

In Wolfenbüttel wurde ihm zu Ehren der Prof.-Paul-Raabe-Gedenkstein errichtet und die freie Fläche zwischen Bibliothek, Lessinghaus und Zeughaus Prof.-Paul-Raabe-Platz genannt.

Nach der Sanierung der Aula der Latina August Hermann Francke 2015 wurde der Saal in Paul-Raabe-Saal umbenannt.[10]

Werke (Auswahl)

Bearbeiten
  • Von Jöcher zu Ebert. Die deutsche Literaturverzeichnung von 1750–1830, Diplomarbeit, Bibliotheksschule Hamburg, Hamburg 1948.[11]
  • Einführung in die Bücherkunde zur deutschen Literaturwissenschaft. Metzler Verlag, Stuttgart 1961.
  • Quellenkunde zur neueren deutschen Literaturgeschichte. Metzler Verlag, Stuttgart 1962.
  • Die Briefe Hölderlins – Studien zur Entwicklung und Persönlichkeit des Dichters. Metzler Verlag, Stuttgart 1963.
  • Die Zeitschriften und Sammlungen des literarischen Expressionismus. Repertorium der Zeitschriften, Jahrbücher, Anthologien, Sammelwerke, Schriftenreihen und Almanache 1910–1921. Metzler Verlag, Stuttgart 1964.
  • Franz Kafka: „Sämtliche Erzählungen“. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1970, ISBN 3-596-21078-X (als Herausgeber).
  • zusammen mit Georg Ruppelt und Wolfgang Milde: Die Herzog August Bibliothek in den letzten 100 Jahren. Verlag Traugott Bautz, Göttingen 1980, ISBN 978-3-88309-005-4.
  • Bücherlust und Lesefreuden. Beiträge zur Geschichte des Buchwesens im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Metzler Verlag, Stuttgart 1984, ISBN 978-3-476-00556-4.
  • Wie Shakespeare durch Oldenburg reiste. Skizzen und Bilder aus der oldenburgischen Kulturgeschichte. Heinz Holzberg Verlag, Oldenburg 1986, ISBN 978-3-87358-275-0.
  • „Die Aktion.“ Reprint der Zeitschrift 1911–1932, alle Ausgaben in 15 Bänden. Mit Einführung und Kommentar von Paul Raabe. Kraus, Millwood, New York 1983; Photomech. Nachdruck der ersten vier Jahrgänge bereits 1961 bei Cotta, Stuttgart. Mit Einführung, Zeugnissen, drei Verzeichnissen (1. der Mitarbeiter und 2. der Rezensionen und behandelten Personen sowie 3. zum Verlag Die Aktion und seinen Veranstaltungen und Veröffentlichungen).
  • Spaziergänge durch Nietzsches Sils-Maria. Arche Verlag, Zürich 1994 (6. Auflage), ISBN 978-3-7160-2182-8.
  • Spaziergänge durch Lessings Wolfenbüttel. Arche Verlag, Zürich 1997, ISBN 978-3-7160-2228-3.
  • August Hermann Francke 1663–1727. Bibliographie seiner Schriften. Verlag der Franckeschen Stiftungen Halle im Max-Niemeyer-Verlag, Tübingen 2001, ISBN 978-3-484-84105-5.
  • … in mein Vaterland zurückgekehrt: Adolph Freiherr Knigge in Hannover 1787–1790. Wallstein Verlag, Göttingen 2002, ISBN 3-89244-639-3.
  • Mein expressionistisches Jahrzehnt. Anfänge in Marbach am Neckar. Arche Verlag, Zürich 2004, ISBN 978-3-7160-2328-0.
  • Zu Gast bei Max Brod – Eindrücke in Israel 1965. Niemeyer Verlag, Hameln 2004, ISBN 978-3-8271-8813-7.
  • Lessings Bucherwerbungen. Verzeichnis der in der Herzoglichen Bibliothek Wolfenbüttel angeschafften Bücher und Zeitschriften 1770–1781 (mit Barbara Strutz), Wallstein-Verlag, Göttingen 2004, ISBN 978-3-89244-830-3.
  • Spaziergänge durch Goethes Weimar. Arche Verlag, Zürich 2005 (10., aktualisierte Neuauflage), ISBN 978-3-7160-2256-6.
  • Das Historische Waisenhaus: Das Hauptgebäude der Franckeschen Stiftungen. (mit Thomas Müller-Bahlke), Verlag der Franckeschen Stiftungen, Halle (Saale) 2005 (2., veränderte Auflage), ISBN 978-3-931479-73-2.
  • Eva König (Hamburger Köpfe). Verlag Ellert & Richter, Hamburg 2005, ISBN 978-3-8319-0191-3.
  • Lessings Büchernachlaß: Verzeichnis der von Lessing bei seinem Tode in seiner Wohnung hinterlassenen Bücher und Handschriften 1781 (mit Barbara Strutz), Wallstein-Verlag, Göttingen 2007, ISBN 978-3-8353-0157-3.
  • Frühe Bücherjahre: Erinnerungen. Arche Verlag, Zürich 2007, ISBN 978-3-7160-2369-3.
  • Bibliosibirsk oder Mitten in Deutschland. Jahre in Wolfenbüttel. Arche Verlag, Zürich 2007 (2. Auflage), ISBN 978-3-7160-2139-2.
  • Leserleben: Geschichten von Fürsten, Sammlern, Gelehrten und anderen Lesern. Arche Verlag, Zürich 2008, ISBN 978-3-7160-2383-9.
  • Tradition und Innovation. Studien und Anmerkungen zur Bibliotheksgeschichte (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderband 110). Mit einem Nachwort von Georg Ruppelt. Klostermann, Frankfurt am Main 2013.

Literatur

Bearbeiten
  • Bibliographie Paul Raabe. Zu seinem 75. Geburtstag, zusammengestellt von Barbara Strutz, Saur, München 2002, ISBN 3-598-11589-X.
  • Paul Raabe zum 80. Geburtstag. Ein Lebenswerk in Büchern. Katalog zur Ausstellung 22.2. bis 14.4.2007 in der Landesbibliothek Oldenburg. Isensee, Oldenburg, 2007, ISBN 978-3-89995-393-0.
  • Ricarda Dick (Hrsg.): Ich war nie Expressionist. Kurt Hiller im Briefwechsel mit Paul Raabe 1959–1968, Wallstein Verlag, Göttingen 2010, ISBN 978-3-8353-0785-8.
  • Mühlpfordt, Günther: Aufsatz aus Anlass des 85. Geburtstages von Prof. Dr. Dr. mult. Paul Raabe. 2. bearbeitete Fassung, Hrsg. Dr. Rolf Osterwald. In: Francke-Blätter, Heft 2/2012 und Heft 3/2012, erweiterte Neudrucke als 3. und 4. Ausgabe, Hrsg. Frank Motzki; Satz und Druck: Buchfabrik Halle, Halle (Saale) 2012 und 2013.
  • Georg Ruppelt: Paul Raabe – Bibliothekar und Wissenschaftler aus Niedersachsen, Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek, Niedersächsische Landesbibliothek, Hannover 2014, ISBN 978-3-943922-10-3.
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Retter des Expressionismus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. März 2004, Nr. 66, S. 36.
  2. Michael Köhler: „Die Bibliothek als eine humane Anstalt“. In: Deutschlandfunk.de. 28. Februar 2007, abgerufen am 9. Januar 2022.
  3. Gerhard Kay Birkner: Jahresarbeiten, Hausarbeiten und Diplomarbeiten 1947–2005. (PDF) März 2006, abgerufen am 9. Januar 2022.
  4. Technische Universität Braunschweig, Ehrendoktorwürde (Memento vom 12. Oktober 2007 im Internet Archive), abgerufen am 5. Juli 2013.
  5. Ehrenbürger, abgerufen am 21. Januar 2018.
  6. Landesbibliothek eröffnet Paul-Raabe-Archiv, abgerufen am 15. April 2015.
  7. Börsenblatt von 5. Juli 2013 (Memento vom 19. Oktober 2017 im Internet Archive), abgerufen am 5. Juli 2013.
  8. Verzeichnis der Mitglieder. In: Jahrbuch der Göttinger Akademie der Wissenschaften. Nr. 2013, 2014, S. 40.
  9. Weimar-Preis 2007 für Paul Raabe (Memento vom 13. Dezember 2013 im Internet Archive).
  10. Saal der Latina restauriert: Franckesche Stiftungen erinnern an ihren Retter. In: HalleSpektrum.de - Onlinemagazin aus Halle (Saale). 30. September 2015, abgerufen am 24. Januar 2023 (deutsch).
  11. Gerhard Kay Birkner: Jahresarbeiten, Hausarbeiten und Diplomarbeiten 1947–2005. Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg März 2006, S. 426 (yumpu.com [abgerufen am 7. Februar 2022]).