Dämonologie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Dämonologie ist die Theorie von den Dämonen, d. h. der bösen Geister, wie sie sich religionsgeschichtlich rekonstruieren lässt oder auch explizit ausformuliert in kulturgeschichtlichen Dokumenten vorliegt. Systematische Darstellungen der christlichen Theologie enthielten zeitweise eine Dämonenlehre als Anhang zur Angelologie, da die Dämonen als gefallene Engel konzeptualisiert werden, deren Behandlung wiederum der Schöpfungstheologie untergeordnet ist, wobei die dogmatische Stoffbehandlung meist auch auf andere Traktate wie Soteriologie oder Christologie ausgreift. Eher im Bereich der Magie, Volksfrömmigkeit oder Theurgie (im Unterschied zum religiösen Kult) zu verortende Behandlungen von Dämonen führen neben einer Katalogisierung oftmals z. B. auch Techniken der Beeinflussung und Abwehr auf.

Begriffsgeschichte

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bezeichneten die griechischen Ausdrücke δαίμων (daímon)[1] bzw. δαιμόνιον (daimónion) zunächst sowohl gute wie böse wirkende göttliche bzw. numenale Wesen, so überwiegt seit der Dämonologie von Xenokrates die Wortbedeutung im Sinne eines bösen Geistes.

Die Bezeichnung „Dämonen“ wird schwankend gebraucht, etwa für „ehemalige Götter“, „Wesen, die bedrohliche Gegenwelten verkörpern oder Krankheiten verursachen“, für „übernatürliche Kommunikationsmittler“ oder „Grenzgänger zwischen Göttern und Menschen“.[2]

Während Platon in seinem Werk ‚Symposion' Dämonen noch als Mittlerwesen zwischen Göttern und Menschen beschrieb, vollzog sich mit Xenokrates eine Wende: Er ordnete die Dämonen in eine hierarchische Struktur ein und schrieb ihnen erstmals überwiegend negative Eigenschaften zu.

Ideengeschichte

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In verschiedenen Kulturen findet sich die Vorstellung, dass diverse den Menschen ereilende Schädigungen durch böse Geister bewirkt seien. Eine Systematisierung dieser Schadgeister kann erfolgen nach einer Typologie dieser Wirkungen: Sexualdämonen bewirken z. B. Unfruchtbarkeit usf.[3]

Entsprechend der in der Bedeutung schwankenden Verwendung des Ausdrucks „Dämonen“ und dem Fehlen irgendeines genauen Äquivalents in semitischen Sprachen ist eine Befunderhebung für das alte Testament schwieriger.[4] Vielfach sind unter den weit ausgeprägten Vorstellungen von Unheil bewirkenden Geistern insb. Parallelvorstellungen zu nahen Kulturen wie der iranischen Religion aufgezeigt worden, so etwa für Lilith (Jes 34,14 ELB) und die babylonische Lilitu.[5]

Im antiken Judentum (wie auch im neuen Testament) werden die Ereignisse am Himmel nicht auf Götter, sondern auf Dämonen zurückgeführt.[6]

Im Neuen Testament spielen Dämonen eine prominentere Rolle, insbesondere in den Evangelien. Jesus wird häufig bei Exorzismen dargestellt, was die Vorstellung von Dämonen als Verursacher von Krankheiten und Besessenheit unterstreicht. In der Apostelgeschichte und den Briefen des Paulus werden Dämonen oft mit heidnischen Göttern in Verbindung gebracht, was die Abgrenzung des frühen Christentums von polytheistischen Kulten verdeutlicht. Die zugrundeliegenden Dämonenvorstellungen entstammen Gemeingut insb. mit dem antiken Judentum. Bisweilen wurden auch Anknüpfungen an mittelplatonische, stoische oder sonstige hellenistische dämonologische Annahmen aufzuzeigen versucht. Peter Busch etwa sah im Hebräerbrief eine Transformation von Elementen mittelplatonischer Dämonologie in christologische Attribute: "durch die Himmel gegangen" (Hebr 4,14 EU) beziehe sich auf die Wohnstätte der Dämonen; diese haben priesterliche Züge (so Plutarch) und menschliche Affekte (Mittelplatonismus, Stoa); für V. 15 weist er auf eine mittelplatonische Debatte über die Sündlosigkeit der Dämonen hin.[7]

In paulinischen Texten wird eine Inkaufnahme von Dämonen zwar mitformuliert, jedoch v. a. als theologisch bedeutungslos erklärt.[8]

Christliche Patristik

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nachahmer von Hieronymus Bosch: Die Versuchung des hl. Antonius, um 1500.

Die patristischen Theologen diskutieren die Dämonen v. a. in Hinsicht auf die soteriologische Frage danach, wovon wir erlöst werden.[9] Dabei entwickelten die Kirchenväter komplexe dämonologische Systeme, die oft auf neuplatonischen Ideen aufbauten.

Origenes beispielsweise entwickelte eine komplexe Dämonologie, in der er die Dämonen als gefallene Engel betrachtete, die durch ihren freien Willen von Gott abgefallen waren. Er sah ihre Existenz als Teil des göttlichen Heilsplans.

Augustinus, beeinflusst von Plotin, betrachtete Dämonen als Luftwesen mit feinen Körpern und übermenschlichen Fähigkeiten. Er betonte ihre Rolle als Verführer der Menschen und sah in ihnen eine Erklärung für die Fortdauer heidnischer Kulte.

Lateinisches Mittelalter

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mittelalterliche Theologen führen die aus Patristik und Übergangszeit überlieferten Fragestellungen weiter und beziehen auch die christologische Frage mit ein, wie Christus den Teufel überwindet, sowie die anthropologische Frage, wie die Ursünde zu verstehen ist.[10] Augustinus stellte die reale Existenz der Dämonen nicht in Frage. Er vertrat die Lehre der gefallenen Engel. Ihm folgte im Wesentlichen Isidor von Sevilla in seinen Etymologiae.[11] In dieser Tradition stand auch Rabanus Maurus mit seiner Abhandlung De magicis artibus, wo sowohl De divinatione daemonum des Augustinus als auch Isidors Etymologiae rezipiert wurden. Die Aussagen von Rabanus Maurus wurden im 12. Jahrhundert in das Decretum Gratiani aufgenommen.[12] Augustinus hatte auch die Lehre vom Dämonenpakt vertreten, die so zu einem festen Bestandteil der scholastischen Theologie des Hochmittelalters wurde und auch in das Decretum Gratiani (vgl. C.26 q.2 c.6 §5) Eingang fand. Diese Vorstellung wurde später von Thomas von Aquin weiterentwickelt, der in seiner Summa theologica ausführlich über die Natur und Fähigkeiten der Dämonen schrieb.

Europäische Neuzeit und Moderne

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nikolaj Abraham Abildgaard: Mareridt, 1800.

Der britische Historiker Stuart Clark hat in einem vielbeachteten Buch nachgewiesen, dass der Dämonenglaube ein wichtiger Teil des Naturverständnisses der frühen Neuzeit war. Clark zufolge war Dämonologie eine „Physik“, die allgemein akzeptierte Erklärungen für natürliche Phänomene bot.[13] Stuart Clark wendete sich mit dieser Einschätzung gegen die ältere Geschichtswissenschaft, die Dämonenglauben primär als etwas der Naturwissenschaft Entgegengesetztes betrachtete. Seit Clarks Studie wird eher die Ähnlichkeit der Erklärungsmodelle mit unterschiedlichen Grundannahmen betont als deren Unterschiedlichkeit.[14]

Eine besondere Bedeutung kommt dem Dämonenglauben im Zusammenhang mit der Hexenverfolgung zu. Der Pakt mit dem Teufel war eine Grundvoraussetzung für die Erlangung magischer Fähigkeiten, die ihrerseits eine Form der Beeinflussung der Natur waren. Teufel und Dämonen hatten nach kirchlicher Lehre keine übernatürlichen Fähigkeiten. Solche konnte spätestens seit der Verurteilung der dualistischen Häresie durch das vierte Laterankonzil nur Gott haben. In diesem Zusammenhang erreichte die Dämonologie einen Höhepunkt mit Werken wie dem ‚Malleus Maleficarum' (1486) von Heinrich Kramer. Dieses Buch, das als Handbuch für Hexenjäger diente, kodifizierte die Vorstellung von Hexen als Dienerinnen des Teufels und trug maßgeblich zur Intensivierung der Hexenverfolgungen bei.

Die Reformation brachte keine grundlegende Änderung dieser Vorstellungen; sowohl Luther als auch Calvin hielten am Glauben an die Realität von Dämonen und deren Einfluss auf die menschliche Welt fest.

Autoren des 19. Jahrhunderts haben des Öfteren versucht, Dämonenglauben geschichtsphilosophisch bzw. religionsgeschichtlich-evolutionistisch einzuordnen und zu deuten in Bezugsetzung zu Vorstufen oder nachfolgenden Stufen und Kategorien wie Animismus, Polytheismus, Monotheismus. Diese Deutungsversuche werden nach heutiger historischer Auffassung der Belegfülle schwerlich gerecht.[15]

In der Theologie des 20. Jahrhunderts wird, auch in Reaktion auf Bestrebungen einer „Entmythologisierung“ des Traditionsguts, selten explizit über Dämonen gehandelt. Diskutiert wird beispielsweise, inwieweit die überlieferten Vorstellungen im Sinne „dämonischer Strukturen“ zu reinterpretieren sind oder inwiefern dabei ein „personaler“ Gesichtspunkt aufrechtzuhalten ist.[16]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Vgl. den Kurzüberblick bei Christoph Riedweg: Art. daimon, in: Christoph Horn, Christof Rapp (Hgg.): Wörterbuch der antiken Philosophie, C.H.Beck, München 2008, S. 95f.
  2. Frey-Anthes, Abschnitt 1
  3. Böcher 1981, 271.
  4. Vgl. die Überblicksdarstellungen bei Frey-Anthes; Wanke; Kirchschläger; H. Ringgren: Israelitische Religion, Stuttgart 1963, S. 89–91.
  5. Vgl. Anders Hultgard: Das Judentum in der hellenistisch-römischen Zeit und die iranische Religion – ein religionsgeschichtliches Problem, in: ANRW II 19.1 (1979), 512-590, hier 547 (und ff).
  6. Vgl. Böcher 1981, 271f.
  7. Peter Busch: Der mitleidende Hohepriester, Zur Rezeption der mittelplatonischen Dämonologie in Hebr 4,14f, in: Klaus Berger (Hg.): Religionsgeschichte des Neuen Testaments, Francke, Tübingen 2000, S. 19–30.
  8. Vgl. etwa die Gesamtdarstellung mit Forschungsüberblick von Johannes Woyke: Götter, „Götzen“, Götterbilder: Aspekte einer paulinischen „Theologie der Religionen“, Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 132, Walter de Gruyter, Berlin 2005, ISBN 311018396X.
  9. Tavard, 294
  10. Vgl. Tavard, 294.
  11. Etymologiae VIII, 9-35.
  12. Hersperger S. 172 mit weiteren Nachweisen.
  13. http://www.juvenileinstructor.org/book-review-stuart-clark-thinking-with-demons/
  14. Clark: Thinking, S. 160.
  15. Böcher 1981, 273 mit Bezug u. a. auf Colpe, 48-551.
  16. Vgl. etwa Leo Scheffczyk: Art. Dämonologie, in: LThK Bd. 3, 6f.
  • Otto Böcher, Gunther Wanke, Günter Stemberger, Georges Tavard: Art. Dämonen. I. Religionsgeschichtlich. II. Altes Testament. III. Judentum. IV. Neues Testament. V. Kirchengeschichtlich. In: Theologische Realenzyklopädie 8 (1981), S. 270–300.
  • Otto Böcher: Dämonenfurcht und Dämonenabwehr. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der christlichen Taufe. (= Beiträge zur Wissenschaft vom AT und NT, 5. F., H. 10). Stuttgart 1. A. 1970.
  • F. E. Brenk: In the Light of the Moon. Demonology in the Early Imperial Period. In: ANRW II 16,3,(1986), 2068–2145; Index in Bd. II 36, 1283–1299.
  • Emil Brunner: Die christliche Lehre von Schöpfung und Erlösung. In: Ders.: Dogmatik, Bd. 2, Zürich 1950, S. 153–172.
  • Stuart Clark: Thinking with Demons. The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe. Clarendon, Oxford 1997, ISBN 0198200013.
  • Stuart Clark: Demonology, in: Bengt Ankarloo, Stuart Clark (Hrsg.): The Period of the Witch Trials, The Athlone History of Witchcraft and Magic in Europe Bd. 4, Athlone and University of Pennsylvania Press, London-Philadelphia 2002, ISBN 0485891042, S. 122–146.
  • Stuart Clark: Art. Demonology. In: Richard M. Golden (Hrsg.): Encyclopedia of Witchcraft, The Western Tradition, Bd. 1 (A–D), ABC-CLIO, Santa Barbara, California 2006, ISBN 9781576072431, S. 259–263.
  • Carsten Colpe, J. Maier, J. Vrugt-Lentz, C. Zintzen: Art. Geister [Dämonen]. In: RAC 9 (1976), 546–797.
  • Dieter Harmening: Art. Dämonologie, in: Wörterbuch des Aberglaubens, Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-010553-6.
  • Patrick Hersperger: Kirche, Magie und ‚Aberglaube‘. Superstitio in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, Bd. 31). Böhlau Verlag Köln 2010. ISBN 978-3-412-20397-9.
  • Walter Kirchschläger, Leo Scheffczyk, Christoph Daxelmüller, Dieter Harmening: Art. Dämon. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 3 (1995), S. 1–6.
  • Armin Lange, Hermann Lichtenberger, K. F. Diethard Römheld: Die Dämonen – Demons. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt. Mohr Siebeck, Tübingen 2003, ISBN 978-3-16-147955-7.
  • Brian P. Levack (Hrsg.): The Literature of Witchcraft, Articles on Witchcraft, Magic and Demonology Bd. 4, Garland, New York-London 1992, ISBN 0815310269.
  • Armando Maggi: Satan’s Rhetoric: A Study of Renaissance Demonology, University of Chicago Press, Chicago-London 2001, ISBN 0226501329.
  • Thomas Hilarius Meyer: „Rute“ Gottes und „Beschiß“ des Teufels. Theologische Magie- und Hexenlehre an der Universität Tübingen in der frühen Neuzeit. Hamburg 2019, ISBN 978-3-7323-5024-7
  • Jonathan Pearl: The Crime of Crimes, Demonology and Politics in France, 1560–1620, Waterloo, Wilfrid Laurier University Press, Ontario 1999, ISBN 0889202966.
  • Jakob Elias Poritzky: Dämonische Dichter. Verlag Rösl, München 1921, online – Internet Archive
  • Alexander Sand, Christoph Daxelmüller, Ludwig Hödl, H. M. Biedermann, Raoul Manselli, Johann Maier, F. Meier, D. Kocks, K. Wessel, Konrad Onasch: Art. Dämonen, Dämonologie. In: Lexikon des Mittelalters Bd. 3, 1986, S. 476–487.
  • Walter Stephens: Demon Lovers: Witchcraft, Sex, and the Crisis of Belief, University of Chicago Press, Chicago and London 2002.
  • A. Valensin / P. Messiaen / A. Beguin u. a.: Satan, in: Etudes carmelitaines 27 (1948), 521–666
Wiktionary: Dämonologie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen